Kairo. . Der islamistische Präsident Mohamed Mursi hat fast alle Gewalt in Ägypten an sich gerissen und das Militär entmachtet. Die Generäle bekommen einträgliche neue Posten, etwa die Leitung der Suezkanal-Behörde. Ob das reicht, um die Armee ruhig zu stellen?
Ägyptens Öffentlichkeit ist sprachlos, die westlichen Staatschefs schweigen. Zeitungen am Nil sprechen von einer „Revolution“, andere befürchten eine „Diktatur der Muslimbruderschaft“. Doch der Hauptakteur Mohamed Mursi, der neue Präsident Ägyptens, gab sich nach seinem politischen Paukenschlag betont leutselig.
„Ich habe im besten Interesse des Landes gehandelt“, erklärte Mursi bei einer kurzen Ansprache zum Ramadan, und machte Versöhnungsgesten in Richtung des Militärs. Doch seine Mitstreiter aus der Muslimbruderschaft trommelten tausende Anhänger auf dem Tahrir-Platz zusammen, die schon den Sieg über das verhasste Militär mit Sprechchören feiern.
Das schwerste politische Beben seit Mubaraks Sturz
Ägypten erlebt das schwerste politische Erdbeben seit dem Sturz von Hosni Mubarak. Und niemand kann sagen, ob die Armee Mursis Handstreich so einfach hinnimmt. Denn mit seinen Dekreten hat der Muslimbruder auf dem Präsidentensessel nicht nur den Obersten Militärrat (SCAF) entmachtet, sondern auch die komplette Armeespitze entlassen. Mohamed Mursi beansprucht künftig allein Exekutive und Legislative, kontrolliert den Haushalt, kann Gesetze erlassen und ersetzt das Parlament, das das Verfassungsgericht im Juni aufgelöst hat.
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Gleichzeitig schickte der Präsident die gesamte Führung der Armee in den Ruhestand, allen voran den seit 1991 als Verteidigungsminister und seit dem 11. Februar 2011 als Chef des Obersten Militärrates amtierenden Mohammed Hussein Tantawi (76). Allen entlassenen Generälen wird der Kommandoverlust vergoldet. So wurde der Ex-Marinechef Präsident der lukrativen Suezkanal-Behörde, der Ex-Luftwaffenchef Minister für die Militärproduktion – zwei Schlüsselposten im großen Wirtschafts- und Finanzimperium des Militärs.
Die Armee ist eine ganze Industrie
Denn die ägyptische Armee ist mit 486.000 Mann nicht nur eine der größten Afrikas. Sie unterhält auch einen riesigen Wirtschaftskonzern, dessen Anteil am Bruttosozialprodukt auf mindestens 20 Prozent geschätzt wird. Den Offizieren gehören nicht nur Rüstungsbetriebe, sondern auch Lebensmittelhersteller. Selbst im Tourismus und im Straßenbau mischen sie mit. Über ihre Sondereinnahmen war die Armee bisher niemandem Rechenschaft schuldig. Waffenhaushalt und Milliardeneinnahmen aus ihren Betrieben gehörten nicht zum offiziellen Staatsetat.
Noch vor einem Jahr hatte ein General im Obersten Militärrat getönt, die neue Verfassung müsse das Militär „von den Launen irgendeines künftigen Präsidenten“ schützen. Jetzt ist dieser Militärrat entmachtet.