Essen. . Als GSG 9 wurde die Truppe früher gefeiert. Heute grassiert der Frust bei der Bundespolizei. Fast jeder zweite Beamte würde den Job nicht noch einmal wählen. Den Rauswurf ihrer Spitze durch Bundesinnenminister Friedrich kritisieren Polizisten massiv.

Mogadischu, die heiße afrikanische Nacht zum 18. Oktober 1977. „Für Deutschland“, sagt der Gesprächspartner im fernen Bonn. „Für Deutschland, Herr Bundeskanzler“, antwortet Ulrich Wegener. Er legt den Telefonhörer auf. Dann gibt der Kommandeur der Grenzschutzgruppe 9 den Befehl zum Sturm auf die Lufthansa-Boeing „Landshut“. Sie sprengen die Türen auf. Binnen Minuten befreien Wegeners Leute die Geiseln an Bord. Zu Hause feiert man sie. Eine Legende ist geboren.

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Grenzen werden überschritten

35 Jahre später haftet nur noch wenig Pathos am Ruf von GSG-9 und der Bundespolizei, deren Herzstück das Sondereinsatzkommando ist. Die Bundespolizei, das geht aus Hunderten wütender Wortmeldungen ihrer Beamten über die Ablösung der Führung hervor, steckt „in der Grütze“ oder auch „bis zur Achse im Dreck“. Sie ist „Bauernopfer“ und Hort der „organisierten Unverantwortlichkeit“.

Es ist – trotz mancher beeindruckenden Leistung seit Mogadischu wie die Festnahme der Sauerland-Attentäter – ein anhaltender Abstieg gewesen. „Extreme Überlastung“ und „massiver Frust“, sagt Bernhard Witthaut, der Chef der Gewerkschaft der Polizei GdP, mache sich breit. Sie seien ausgelöst durch „die wachsende Kluft zwischen immer neuen Aufgaben und immer weniger verfügbarem Personal und Geld“.

Der große Frust: Von 40 000 Planstellen sind nur 32 000 besetzt 

In Zahlen und Fakten: Die Bundespolizei, wie der Grenzschutz längst heißt, hat zwar die Aufgaben der Bahnpolizei übernommen. Sie sichert inzwischen die Flughäfen, soll bald die Luftfracht kontrollieren und geht in Krisengebieten wie Afghanistan Patrouille. Aber von ihren 40 000 Planstellen sind nur 32 000 besetzt. Der Staat stellt weniger Anwärter ein als durch Pensionierung die Truppe verlassen. Auf den 650 Kilometern deutscher Süd-Grenze zwischen Tschechien und dem Bodensee gehen nach Abzug von Urlaub und Krankmeldung noch 50 Bundespolizisten pro Schicht Streife – einer ist rechnerisch für zwölf Kilometer Gebirge zuständig. Motorisierte Streifenfahrten wurden 2011 reduziert. Das Benzin-Geld fehlte.

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Von Dietmar Seher

Zudem werden die Einsatzbedingungen immer härter. Der Krankenstand liegt bei neun Prozent. Grenzüberschreitungen kommen vor, im Ausland wie im Inland. Zwei Bundespolizisten, die die Botschaft in Bagdad schützen sollten, wurden von Aufständischen getötet. In Afghanistan ließen sich GSG 9-Beamte mit einer erbeuteten Totenkopfflagge fotografieren. Die Eliteeinheit bekam Ärger. Ein Referat wurde aufgelöst. Demonstranten haben Polizisten beim Wasserlassen im Wald gefilmt. Sie stellten die Bilder ins Internet, um die Beamten der Lächerlichkeit preiszugeben.

Seit 2001 haben sich über 70 Bundespolizisten das Leben genommen. In mehreren Studien ist der Missstand protokolliert. Prof. Gerd Strohmeier von der Uni Chemnitz hat im letzten Jahr 5000 Grenzschützer eingehend befragt.

Dieser Job? Nicht noch einmal 

Ergebnis: Sie beklagen hohe Belastung, Schichtdienst, den Einsatz weit weg von zu Hause, schlechte Bezahlung und kaum Aufstiegschancen. 41 Prozent der Beamten, eine relative Mehrheit, würden den Job nicht noch einmal wählen.

Sie würden ihn auch ihren Kindern nicht empfehlen, wenn denn die Beziehungen stabil geblieben wären. Aber das war wohl nicht so: Die Hälfte der Befragten, so die Strohmeier-Studie, hat sich irgendwann „zwischen Familie und Karriere“ entscheiden müssen.