Oberhausen/Bottrop. . Der Kita-Ausbau in NRW kommt schlecht voran, auch weil tausende Erzieher fehlen. Deshalb fällt immer häufiger das Stichwort Umschulung. Kirsten Decker (49) war Fotografin, Jennifer Breitbarth (41) Industriekauffrau. Beide schulten auf Erzieherin um und wissen: Die Ausbildung braucht viel Zeit.
NRW steuert auf einen dramatischen Betreuungs-Engpass in Kindertagesstätten zu. Das haben Wissenschaftler der Universität Dortmund im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung errechnet. Wenn ab August 2013 jedes Kind bereits ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot besitzt, fehlen demnach an Rhein und Ruhr bis zu 90 000 Kita-Plätze und 6750 Erzieher. Es wäre der bundesweit größte Mangel.
Der Verband Bildung und Erziehung warf der Landesregierung vor, sie habe es „sträflich vernachlässigt, rechtzeitig für Nachwuchs zu sorgen“. Landesfamilienministerin Ute Schäfer (SPD) erklärte dagegen, NRW bilde unter allen westdeutschen Bundesländern bereits die meisten Erzieher aus. Bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 60 000 Erziehern gebe es zurzeit 19 000 Azubis, was eine „ausgesprochen hohe Ausbildungsleistung“ sei.
Ab 2013 haben Eltern einjähriger Kinder Anspruch auf einen Kita-Platz
Die NRW-SPD hatte sich zu Wochenbeginn überdies für bessere Anreize bei Umschulungen von Quereinsteigern und Langzeitarbeitslosen stark gemacht. Die Bundesagentur für Arbeit solle geeigneten Bewerbern die volle dreijährige Ausbildung finanzieren und nicht nur, wie üblich, eine zweijährige Qualifizierungsmaßnahme.
Erzieher fehlen an allen Ecken und Enden: 6750 sollen es insgesamt sein, wenn ab 2013 schon einjährige Kinder Anspruch auf einen Kita-Platz haben. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.
Seit Monaten werden daher Forderungen laut, den Einstieg in den Erzieherberuf zu erleichtern. Ein Vorschlag ist, dass Arbeitslose die vielen Lücken füllen sollen. Ein Anreiz für sie könnte sein, die derzeit in NRW dreijährige Ausbildungs- oder Umschulungszeit zu verkürzen. Doch Seiteneinsteigerinnen warnen davor. Sie sagen aus eigener Erfahrung: Erzieherin wird man nicht im Schnelldurchlauf.
In dem Punkt sind sich Kirsten Decker (49) und Jennifer Breitbarth (41) einig. Die gelernte Fotografin und die ehemalige Industriekauffrau wissen, wovon sie sprechen: Beide haben eine Umschulung zur Erzieherin schon hinter sich und sind sich sicher, dass diese Vorbereitung nötig ist. Denn „gerade die Arbeit mit den Jüngsten ist die Wichtigste“, so Decker.
Berufserfahrung war ein großer Vorteil
Schon vor 13 Jahren begann die Oberhausenerin als ungelernte Ergänzungskraft, in der Kita ihrer drei Kinder zu arbeiten. „Ich wusste, dass ich als Mutter keine Chance hatte, wieder in meinem alten Job zu arbeiten“, sagt sie. Die nötige Flexibilität als Fotografin konnte sie einfach nicht mehr aufbringen. Nach zehn Jahren als Kita-Hilfskraft entschied sie sich für die Weiterbildung zur Erzieherin. Es folgten drei anstrengende Jahre: Arbeit, Schule, Lernen, Haushalt, Kinder. Das alles musste Kirsten Decker unter einen Hut bekommen. Fünf bis sechs Stunden blieben ihr zum Schlafen. „Es war nicht leicht, aber es hat auch Spaß gemacht.“ Sehr viel Theorie hat sie in der Zeit gelernt – zum Beispiel Erkenntnisse der Hirnforschung. Auch ihre langjährige Berufserfahrung war nicht umsonst: Sie ersparte ihr das Anerkennungsjahr nach der theoretischen Ausbildung.
Rückblickend ist sich Kirsten Decker sicher: „Es hat sich definitiv gelohnt.“ Trotz Stress. Allein finanziell sieht es anders aus: Nur vier ihrer 13 Arbeitsjahre im Kindergarten werden ihr angerechnet. Daher bekommt sie lediglich 70 Euro mehr als ein Berufsanfänger, der, wenn er nach Tarif bezahlt wird und in Vollzeit arbeitet, um die 1200 Euro netto verdient. „Die Bezahlung ist echt ein Witz. Da muss man schon Idealist sein“ – so wie Kirsten Decker.
Die Chancen auf eine Anstellung stehen gut
Wie die Oberhausenerin haben es zwischen Januar 2011 bis März 2012 weitere 355 Männer und Frauen in NRW geschafft, auf den Beruf des Erziehers umzusatteln. So die Angaben der Landes-Arbeitsagentur. Zusätzliche 370 befinden sich laut Bundesarbeitsagentur noch in der Weiterbildung. Doch angesichts der vielen tausend fehlenden Fachkräfte sind das längst nicht genug.
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Für alle angehenden oder schon ausgebildeten Erzieher auf Stellensuche hat dieser Mangel einen Vorteil: Sie können sich ihre zukünftige Arbeitsstelle mehr oder minder aussuchen. „Aus einer Fülle von Angeboten“ konnte etwa Kirsten Decker ihre neue Stelle wählen, nachdem sie ihre Qualifizierung erfolgreich beendet hatte. Sie entschied sich für die Gruppenleitung in einer Mühlheimer Kita.
Daher rechnet sich auch Jennifer Breitbarth gute Chancen auf eine Festanstellung aus, wenn sie 2013 ihr Anerkennungsjahr beendet hat. Die Bottroperin begann vor zwei Jahren ihre Ausbildung zur Erzieherin. Ihre Karriere als Industriekauffrau musste sie 2002 an den Nagel hängen, als eine Hornhauterkrankung die tägliche Computerarbeit unmöglich machte.
„Sehr lernintensive“ Ausbildung
Nach sieben Jahren als 400-Euro-Kraft im offenen Ganztag einer Bottroper Grundschule entschloss sie sich, Erzieherin zu werden. Zurück in der Schule machte sie ähnliche Erfahrungen wie Kirsten Decker: „Ich hatte es mir wegen meines Alters schlimmer vorgestellt. Doch in einigen Bereichen war ich wegen meiner Erfahrung im Vorteil.“ Zum Beispiel als die Klasse übte, ein Baby zu wickeln, konnte die Bottroperin auf ihr Wissen als Mutter zurückgreifen. Doch einfach ist die Umschulung für Jennifer Breitbarth nicht gewesen: „Die Ausbildung zur Erzieherin war viel intensiver und anspruchsvoller als meine erste zur Industriekauffrau.“