Berlin. . Netzausbau, Elektromobilität, energetische Sanierung, Stromverbrauch: In vielen Kernpunkten kommt die Energiewende nicht voran. Zugleich explodieren die Kosten. Die WAZ erklärt, woran es hakt.

Steht die Energiewende auf der Kippe? Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) haben Alarm geschlagen. Sie befürchten, dass nicht alle Ziele beim Umstieg auf die erneuerbaren Energien rechtzeitig erreicht werden. Denn nach wie vor hakt es an vielen Stellen beim Umbau.

Die politische Dimension

Vor allem Altmaier weist auf bisherige Versäumnisse bei der Energiewende hin. Ob das nur eine nüchterne Bilanz oder der Start für einen Kurswechsel der Regierung ist, lässt sich noch nicht sagen. Fakt ist: Die Regierung zieht bei der Energiewende nicht immer an einem Strang, vor allem Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Das bremst die Energiewende, und einige Ziele – etwa beim Stromsparen – scheinen tatsächlich bis 2020 schwer erreichbar.

Zum anderen distanziert sich Altmaier mit seiner Kritik an Norbert Röttgen (CDU) von seinem Amtsvorgänger. Dessen Bestandsaufnahme kann also auch als Neuanfang gewertet werden. Passend dazu hat Altmaier sein politisches Überleben nun an das Gelingen der Energiewende geknüpft. Von einem Scheitern des Projekts dürfte jetzt in der Koalition niemand ernsthaft reden. Das wäre zu früh und zudem Gift im Bundestagswahlkampf. Wohl aber dürften sich nun die Kritiker der Wende – sei es von Umweltverbänden oder aus der Industrie – lauter zu Wort melden und in ihrem Sinne Nachbesserungen fordern.

Die größten Baustellen 

Der Netzausbau stockt. In zehn Jahren sind 3800 Kilometer an Höchstspannungsleitungen nötig, davon sind erst 300 Kilometer gebaut. Der Netzentwicklungsplan soll bis Jahresende stehen und vorgeben, wo die neuen Stromautobahnen verlaufen sollen.

Die Elektromobilität kommt kaum voran. Bis 2020 soll es eine Million Elektroautos in Deutschland geben, doch zum Jahreswechsel waren es gerade mal 4541 Fahrzeuge.

Die geplante Stromverbrauch-Reduktion um zehn Prozent bis 2020 hält Altmaier für unrealistisch. Nicht ohne Grund. Deutschland fehlt eine klare Effizienzpolitik. Eine strenge EU-Effizienzrichtlinie hat Wirtschaftsminister Rösler (FDP) torpediert.

Bei der Förderung der energetischen Sanierung streiten sich Bund und Länder im Vermittlungsausschuss wegen der Kosten. So fehlen Anreiz und Zwang zum Energiesparen. Zudem steckt die Speichertechnologie noch in den Kinderschuhen.

Problematisch ist auch der Bau neuer fossiler Kraftwerke. Bis 2020 sind 20 Gigawatt Leistung nötig. Doch wenn die Kraftwerke nur wenige Male im Jahr einspringen dürfen, wenn es nicht genug Solar- oder Windstrom gibt, rechnet sich deren Bau für Investoren nicht.

Kompetenzen und Ziele 

Die Energiewende erfordert viel Koordinierung mit den beteiligten Ministerien, den Ländern, Verbänden und der Industrie. Das hat Ex-Umweltminister Röttgen laut Altmaier unterschätzt. So kümmert sich das Umweltministerium um Ökoenergie, das Wirtschaftsministerium um Energieeffizienz und Netzausbau. Doch beide Häuser haben mitunter völlig unterschiedliche Pläne, sei es bei der Senkung der Solarvergütung oder der EU-Effizienzrichtlinie.

Auch die Länder ziehen nicht an einem Strang. Während Schleswig-Holstein oder Niedersachsen die Windenergie auf dem Meer fördern und den Strom in den Süden liefern wollen, setzen Baden-Württemberg und Bayern selbst auf den Ausbau der Windenergie.

Das Kostenproblem 

Energie muss bezahlbar bleiben, sagen Rösler und Altmaier unisono. Doch die Stromkosten drohen zu explodieren. Nach Berechnungen des Verbraucherportals ­„Veri­vox“ zahlt ein Vierpersonenhaushalt mit 4000 Kilowattstunden Jahresverbrauch heute 190 Euro mehr für den Strom als vor fünf Jahren.

Der bedeutendste Kostentreiber ist die EEG-Umlage. Sie steigt, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der vergleichsweise ineffizienten Photovoltaik, boomt. Derzeit beträgt die Umlage knapp 3,6 Cent je Kilowattstunde, im Herbst rechnen die Netzbetreiber bereits mit fünf Cent für den Endverbraucher. Dies liegt auch daran, dass die energieintensive Industrie von der Abgabe befreit ist. Wegen der garantierten Vergütungssätze kostet die EEG-Umlage den Verbraucher in den kommenden Jahren mehr als 100 Milliarden Euro. Rösler will nun das komplette Gesetz reformieren.