Essen. Über die Erkenntnisse des LBS-Kinderbarometers sprach WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies mit dem Vorsitzenden der Landeselternschaft Grundschulen, Martin Depenbrock, und dem Landesvorsitzenden des Verbandes Erziehung und Bildung (VBE), Udo Beckmann.

Kinder fühlen sich allgemein in Familie, Wohnumfeld und vor allem mit Freunden sehr wohl, in der Schule allerdings am wenigsten. Woran liegt das?

Martin Depenbrock: Am zunehmenden Druck. Durch Pisa und Co ist das Thema Leistung wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Das Wohlfühlen sinkt ja auch mit dem Alter. Das hat damit zu tun, dass Kinder von weiterführenden Schulen nicht sonderlich gut aufgenommen werden. Sich dort zu wenig um ihre Möglichkeiten gekümmert wird. Und das wird noch schlimmer, wenn jetzt wegen des früheren Einschulungstermins Neunjährige schon in die weiterführende Schule kommen.

Udo Beckmann: Schule ist eine Institution, zu der man nicht freiwillig geht. Im Gegensatz zu Freunden. Es ist auffällig, dass das Wohlfühlen in der Schule mit dem Alter von der 4. zur 7. Klasse abnimmt. Das entspricht einfach dem Wandel vom Kind zum Erwachsenen, der Blick verändert sich. Aber natürlich wäre es gut, wenn Ganztagsschule auch noch mehr auf die Kreativität der Kinder eingehen würde, mehr noch Lebens- und nicht nur Lernort würde.

17 Prozent der Kinder haben angegeben, gelegentlich mit Schlägen bestraft zu werden, zwei Prozent werden regelmäßig geschlagen. Spricht man darüber?

Depenbrock: Nein. Nur in Einzelfällen, wenn es darum geht, dass Lehrer Schüler schlagen.

Beckmann: Körperliche Gewalt ist in der Schule ein Thema. Wir müssen Kinder stark machen, damit sie darüber sprechen. Lehrer haben ganz klar den Auftrag, hinzusehen, Kinder bei Verdacht anzusprechen. Die Eltern anzusprechen. Oft sind Schläge ja ein Zeichen von Hilflosigkeit.

Mobbing ist in der Studie kein größeres Thema. In der Schule auch nicht?

Depenbrock: Die Konflikte in der Schule nehmen zu. Und zwar unter allen Beteiligten. Lehrer gegen Schüler, Schüler untereinander, Eltern gegen Lehrer. Eltern sind sogar bereit zu klagen. Psychische Gewalt wächst.

Zufriedenheit und Ausgeglichenheit hängt auch mit ausreichender Bewegung zusammen. Bekommen Kinder genug Sportunterricht?

Depenbrock: An Grundschulen schon. Da ist das Bewegungsangebot auch im normalen Unterricht ausgebaut worden.

Beckmann: Das Sportangebot in Schulen könnte eine weitere Verbesserung vertragen. Allerdings mangelt es weniger an qualifizierten Lehrkräften als vielmehr an den Räumlichkeiten. Immer mehr Schwimmbäder werden geschlossen, mehrere Schulen müssen sich eine Turnhalle teilen, die Schulträger sparen an den Unterhaltungskosten.

Die meiste Angst haben die 9- bis 14-Jährigen vor Arbeitslosigkeit und Armut. Überrascht Sie das?

Depenbrock: Gar nicht. Sie haben das ja direkt vor Augen. Viele Kinder sind arm. Eltern fallen Ausgaben für die Schule immer schwerer, da kann der Schulausflug zum Problem werden.

Immer mehr Probleme werden auch ins Kinderzimmer getragen. Ist das richtig?

Depenbrock: Es scheint ein genereller Trend zu sein. Dabei warnen Experten Eltern und Erzieher ausdrücklich davor, Kinder zu partnerschaftlich zu behandeln. Oft sind Kinder damit überfordert.