Berlin. . Der Fachkräftemangel wird nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit zu einer größeren Gefahr für die deutsche Wirtschaft als die Finanzkrise. Bis 2025 fehlten in Deutschland über drei Millionen Arbeitskräfte, möglicherweise mehr.

Die Bundesregierung geht unter dem Druck der Wirtschaft ungewöhnliche Wege zur Bewältigung des Fachkräftemangels: Arbeitnehmer etwa aus den Euro-Krisenländern sollen in Deutschland die zunehmende Fachkräftelücke schließen – die Regierung will gezielt Zuwanderer locken.

„Wir werden gerade in europäischen Nachbarstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit wie Spanien, Italien oder Portugal Werbung starten und auch mit den jeweiligen Regierungen sprechen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) gestern.

Er stellte gemeinsam mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, eine neue Werbekampagne der Regierung vor, die nichts weniger als einen Kurswechsel der Politik einläutet: „Make it in Germany“ soll übers Internet in großem Maßstab qualifizierte Arbeitnehmer für einen Job nach Deutschland locken, die Vorzüge des Landes preisen. „Es lohnt sich, nach Deutschland zu kommen“, schwärmte Rösler, das Werben um Zuwanderer sei künftig eine „Daueraufgabe“.

200.000 Zuwanderer pro Jahr nötig

Parallel startet die Regierung auch eine Internetplattform, die Beratungs- und Unterstützungsangebote für deutsche Fachkräfte und heimische Unternehmen anbietet. Schließlich müsse das Potenzial an Arbeitskräften in Deutschland selbst besser genutzt werden, mahnte Weise. Doch er ließ wie die Minister keinen Zweifel: Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen.

„Bis 2025 fehlen uns über drei Millionen Arbeitskräfte“, sagte Weise. Zwar werde ein großer Teil des zusätzlichen Bedarfs aus dem Inland gedeckt werden müssen, doch würden auch mindestens 200 000 Zuwanderer im Jahr benötigt. Noch klingen solche Zahlen aber utopisch, denn die Zuwanderungsregeln für Deutschland sind vergleichsweise streng.

Vorbild Kanada

Die Regierung hat immerhin für eine bessere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gesorgt und mit der neuen „Blue Card“ die Einkommenshürden für ausländische Spitzenkräfte abgesenkt; am 1. Juli tritt das Gesetz in Kraft. Rösler plädierte für eine weitreichende Reform, die Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild: Wer dann die Kriterien erfüllt, kann auch ohne Arbeitsvertrag kommen. Daraus wird in dieser Wahlperiode aber nichts mehr.

Stattdessen will die Regierung nun mit der neuen Werbeoffensive Handlungswillen demonstrieren – nach zunehmenden Klagen von Unternehmen, die der Politik mangelndes Engagement bei der Bewältigung des Problems vorwerfen. Parallel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern die Spitzen von Wirtschaft und Gewerkschaften ins Schloss Meseberg bei Berlin eingeladen, um unter anderem über Strategien gegen den Fachkräftemangel zu beraten.

SPD setzt auf inländisches Potenzial

Arbeitsministerin von der Leyen berichtete von eine Million offener Stellen und klagte, die Neubesetzung der Arbeitsplätze dauere immer länger: „Es ist Arbeit da, die nicht getan wird, es sind Aufträge da, die nicht erfüllt werden.“

DGB-Chef Michael Sommer kritisierte indes, solange die Regierung zu wenig für Beschäftigung und Weiterbildung von jungen Menschen, Frauen, Älteren und Migranten tue, sei das „Jammern“ über Fachkräftemangel unglaubwürdig. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil nannte Merkels Gipfel-Treffen eine „folgenlose und unverbindliche Show-Veranstaltung“.

SPD setzt auf heimische Kräfte

Die SPD schlägt einen Experten-Rat im Kanzleramt vor und setzt darauf, dass inländische Potenzial zu erschließen: Fünf Millionen Menschen könnten durch bessere Bildung, Weiterbildung und gezielte Förderung mobilisiert werden, sagte Heil. Chancen, die der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Weise, noch kräftiger ausmalt: „Arbeitnehmer werden durch den Fachkräftemangel bessere Vermittlungsaussichten haben und günstigere Marktbedingungen“, sagte Weise. „Frauen können besser wieder in den Beruf einstiegen, Ältere haben mehr Jobchancen.“