Moskau/München. Michail Chodorkowski, Ex-Chef des Ölkonzerns Yukos, steht wieder in Russland vor Gericht. Diesmal lautet die Anklage auf Untreue und Öldiebstahl, im schlimmsten Fall drohen ihm mehr als 20 Jahre Haft zusätzlich. Westliche Beobachter sehen politische Gründe für das Verfahren.

Russlands prominentestem Häftling drohen noch viele Jahre im sibirischen Straflager: In Moskau hat am Dienstag ein weiterer Prozess gegen Michail Chodorkowski begonnen. Der bereits zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilte Ex-Chef des russischen Ölkonzerns Yukos muss sich diesmal wegen Untreue und Öldiebstahl verantworten.

Chodorkowski und seine Anwälte sehen kaum eine Chance

Im Falle einer Verurteilung droht dem ehemals reichsten Mann Russlands nach Angaben seines Anwalts eine Haftstrafe von mehr als 20 Jahren. Chodorkowski und seine Anwälte sind ohnehin davon überzeugt, dass der einstige Starunternehmer auf Wunsch von Moskaus Politspitze solange im Gefängnis bleiben wird, bis er weitgehend vergessen ist.

Die ehemalige Bundesjustizministerin und bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erwartet bei der Neuauflage des Prozesses ebenfalls kein faires Verfahren. Genau wie im ersten Prozess vor vier Jahren wolle die Führung im Kreml an dem ehemaligen Öl-Magnaten ein Exempel statuieren, sagte Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag im Bayerischen Rundfunk. Die FDP-Politikerin beobachtet im Auftrag des Europarates das Verfahren, das am Dienstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Moskau beginnen sollte.

"Chodorkowski versteht sich als politisch denkender Mensch, der die Zivilgesellschaft in Russland stärken wollte. Das wurde ihm zum Verhängnis», sagte Leutheusser-Schnarrenberger. «Es hat dabei so viele Mängel im ersten Prozess gegeben, dass heute immer noch mehrere Verfahren beim europäischen Menschenrechtshof in Karlsruhe anhängig sind. Hier ist Willkür und Einfluss des Staates auf den Prozess offenkundig.» Der zweite Prozess zeige, dass die russische Führung den Kritiker für weitere Jahre im Gefängnis verschwinden lassen wolle, kritisierte die frühere Ministerin. Im ersten Prozess war Chodorkowski zu acht Jahren Haft in Sibirien verurteilt worden.

Aus Sibirien nach Moskau verlegt

Für den neuen Prozess wurde Chodorkowski vergangene Woche aus dem Gefängnis im sibirischen Tschita in die Moskauer Haftanstalt Matrosskaja Tischina verlegt. Wie die Zeitung «Kommersant» unter Berufung auf seine Anwälte berichtete, wurde der 45-Jährige mit einem Flugzeug nach Moskau gebracht und in einer Limousine mit getönten Scheiben zum Gefängnis gefahren. «Ich konnte auf dem Weg nichts von Moskau sehen, nicht einmal aus dem Augenwinkel», wurde Chodorkowski zitiert.

Dem vierfachen Vater wird in dem neuen Prozess vorgeworfen, zwischen 1998 und 2003 gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitarbeiter Platon Lebedew illegale Transaktionen im Wert von umgerechnet 19 Milliarden Euro vorgenommen zu haben. Außerdem muss er sich wegen «Diebstahls» von rund 350 Millionen Tonnen Erdöl verantworten - das entspricht der Fördermenge der Yukos-Tochterunternehmen.

Festnahme im Oktober 2003

Chodorkowskis Karrieresturz könnte tiefer nicht sein. Im Oktober 2003 wird er wegen Steuerhinterziehung festgenommen, der quälend lange Prozess mündet im Mai 2005 in ein hartes Urteil: neun Jahre wegen Betrugs und Steuerhinterziehung. Die Strafe wird später auf acht Jahre reduziert. Sein Yukos-Konzern wird zerschlagen und 2006 einem Konkursverwalter unterstellt.

Der einstige Milliardär sitzt tausende Kilometer von Moskau entfernt im sibirischen Straflager. Mal muss er in Isolationshaft, mal wird er von einem Mithäftling mit dem Messer angegriffen. Zwischendurch erleidet er immer wieder kleine Schikanen der Gefängnisverwaltung. Chodorkowskis Stiftung muss schließen, ebenso seine Schule für Waisenkinder.

Der Magnat wollte politischen Einfluss nehmen

Chodorkowskis Karriere hatte lange als Paradebeispiel für die unbegrenzten Möglichkeiten im Russland der post-sowjetischen Ära gegolten. Vom früheren kommunistischen Jugendführer brachte er es zum Bankier und Ölmagnaten. Doch als der Mann mit der sanften Stimme oppositionellen Parteien finanziell unter die Arme griff und selbst mit dem Gang in die Politik liebäugelte, leitete er seinen eigenen Untergang ein. Chodorkowski brach eine eiserne Regel, die Russlands Ex-Präsident Wladimir Putin bei seinem Amtsantritt 2000 mit den Oligarchen vereinbart hatte: Ihr könnt eure Reichtümer behalten, wenn ihr euch aus der Politik heraushaltet. Wer dagegen verstieß, wurde ins Ausland gedrängt - oder festgenommen.

Welche Schritte Chodorkowski seitdem auch unternimmt, wie vorbildlich er sich auch in der Haft verhält - der Staat ist ihm immer einen Schritt voraus. Nach russischem Recht können Häftlinge wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen werden, wenn sie mehr als die Hälfte ihrer Strafe abgesessen haben. Chodorkowskis Anträge auf vorzeitige Entlassung lehnten die Justizbehörden bislang ab, zuletzt im vergangenen Oktober. Auch auf eine Begnadigung durch Putins Nachfolger Dmitri Medwedew braucht Chodorkowski nicht zu hoffen.

Zuletzt sah sich der 45-Jährige auch noch mit Vorwürfen wegen angeblicher sexueller Belästigung eines Mitgefangenen konfrontiert: Ein früherer Zellengenosse hatte dem Ex-Oligarchen homosexuelle Übergriffe vorgeworfen und eine Entschädigung von 500.000 Rubel (umgerechnet knapp 11.000 Euro) beantragt. Zumindest dieses Verfahren ließ die russische Justiz Ende Februar fallen. (afp)

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