Essen. . Pünktlich zum letzten Wahlsonntag twittert SPD-Chef Sigmar Gabriel. Unter seinem Twitter-Account gibt er sich jovial, verkündet Wahlsiege und gibt den Mathelehrer. Doch von den 3500 Followern glaubt kaum einer, das dort wirklich der SPD-Chef twittert. Also liefert Gabriel einen Beweis.

Süchtig werden nach einer PR-Aktion? Das könnte SPD-Chef Sigmar Gabriel drohen. Nachdem das Facebook-Fieber ihn bereits vor zwei Jahren packte, ist nun Twitter dran. Frei Schnauze, belehrend jovial, gerne siezend - aber wohl eben echt Gabriel. Unter @sigmargabriel verkündet der SPD-Chef seit vergangenen Freitag seine eigenen 140-Zeichen-Kurznachrichten, so sagt er jedenfalls. Er schreibe selber, zu 100 Prozent: „Bislang ja. Wenn nicht, würde es kenntlich gemacht werden.“ Doch ist er es wirklich? Viele Twitterer zweifeln. Also twittert Gabriel einfach mal eben eine Berliner Telefonnnummer, wo er gerade erreichbar ist. Und ja: Er ist’s:„Ja hier Gabriel. Ja, es haben schon viele angerufen. Vor allem aus NRW!“

Warum das Ganze? Gabriel twittert zwar, nur die Vize-Präsidentin von Twitter sei der Grund für seinen Account. Sie haben ihn so „neugierig auf Twitter gemacht, dass ich es einfach mal probiere.“ Trotzdem ging der Twitteraccount strategisch vor dem vergangenen Sonntag an den Start - pünktlich vor dem großen Wahlmarathon-Wochenende mit Frankreich, Griechenland und der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. So klappt Wahlwerbung rund um die Uhr, kritisiert die Netzgemeinschaft: „Gerade noch rechtzeitig zum Jubeln am #Wahl-Sonntag den #Twitter-Account gestartet. Etwas vorhersehbare PR-Aktion.“ Einen Kommentar von Gabriel gibt’s dazu nicht, auch wenn er sich sonst frei Schnauze umtut und eingehende Tweets akribisch abarbeitet.

Danksagungswarmwerde-Tweet

Die Nachrichtenwelle läuft an. Erst zaghaft, mit Gabriel freundlich-umarmenden, zweiten Tweet: „Vielen Dank für die herzliche Begrüßung auf Twitter. Ich freue mich darauf, Debatten auch hier zu führen.“ Aber an Tag Drei, dem eigentlichen Wahlsonntag, bricht der Damm.

Erst freut sich Gabriel noch über Vorschusslorbeeren - seine 1800 Follower, die er mit gerade mal drei, noch nachrichtenarmen Tweets angehäuft hat. Immerhin hat ihn sein Social-Media-Team geschult. Der SPD-Chef verspricht prompt „zw. Büro, Wahlkampf und Wickeltisch so schnell wie möglich reagieren und retweeten“. Am Ende bringt es der Neu-Twitterer allein zwischen 16 und 20 Uhr auf gut 40 Tweets, aber mit Fragezeichen.

Bissig-joviale Tweets von Gabriel 

„Darf man das schon twittern?“, wird Gabriel ein ums andere Mal gefragt. Er drückte bereits um17:29 Uhr dem später gewählten französischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande zur 52-Prozent-Marke die Daumen. Zwischen den Zeilen liest sich das Ganze wie Insiderwissen. Entsprechend gibt Gabriel seine Quelle auch nicht per Netzgezwitscher preis. Lieber gratuliert er fix SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig, vor der offiziellen Hochrechnung, freut sich über Mehrheiten und muss dann natürlich dennoch das spätere, niedriger ausfallende SPD-Ergebnis hinnehmen. Tja, aber Gabriel kann natürlich auch twitternder Weise noch bissig-jovial sein.

Zur saloppen Ansage an den SPD-Chef, die Sozialdemokraten würden sich ihre Wahlsiege doch eh immer schönrechnen („Wie macht ihr datt bloß lieben @sigmargabriel ? Wenn ihr gewinnt, gewinnt ihr un wenn ihr verliert, seid ihr au noch am gewinnen dran“) gibt’s eine entsprechend saloppe Antwort: „Kannst wohl nich’ rechnen, wa? :-))“. Etwas später dröselt Twitter-Gabriel dann aber doch noch mal auf, wieso die SPD in Schleswig-Holstein durchaus einen Wahlsieg verkünden kann. Doch seine Härte will sich der SPD-Chef erhalten, lieber so rüberkommen wie er ist - statt ständig freundlich zu lächeln. Seine Mathematik-Belehrung rundet er ab und lässt den vermeintlichen Fehlrechner wissen: „Ich kenne halt Typen wie Sie :-)“. Ob ein freundliches Lächeln an diesem Satzende überhaupt noch Sinn haben kann, wohl nicht.

NRW-Wahl, mal solo

Weniger heftig kommentiert Gabriel die NRW-Wahl, trotzdem setzt er sich so vom gemeinsamen Wahlkuschelkurs der SPD und der Grünen ab. Kurz nachdem Gabriel twittert: „Wer Kurs halten will bei Bildung, Arbeit, Energiewende, muss Kraft&SPD wählen. Alles andere hilft schwarz-gelb!“ macht sich der mitlesende Michael Schroeren bemerkbar. Der Bundestagssprecher der Grünen fragt doch lieber mal nach: „Nicht dein Ernst: „Alles andere“? - und im Grunde bleibt Gabriel auf der Nicht-Kuschelseite. Frei nach - wie du mir, so ich dir - erntet Schrönen nur „Nun musst Du das gleiche aber auch bei J.Trittin erreichen. Der empfahl heute morgen nur „grün-wählen“.

Auch CDU/CSU-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmeier kriegt sein Fett weg. Als Altmeier konservativ lässig dem SPD-Chef dazu gratuliert, seinen Altmeier-Twitter-Stil als Vorbild zu nehmen, muss Gabriel kontern: „Sie verwechseln mich mit Ihrem Verein: bei Ihnen sind Plagiate in Mode. Nicht bei uns :-).“

Aber sonst bleibt es freundlich.

SPD-Chef setzt auf witzige Konter 

Da freut sich Gabriel doch lieber über ein Brecht-Zitat, das FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in die Twitterwelt setzt. Er siezt CDU/CSU-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmeier genauso wie SPD-Blogger Nico Lumma. Nimmt Twittertipps entgegen: Er solle doch kürzer schreiben, wie der Münte. Doch für Gabriel ist klar, „nicht immer ist kurz auch klar“. Vor einem Shitstorm fürchte er sich nicht: „Nach 20 Jahren Politik mit Spiegel, Bild usw ist man einiges gewohnt :-)“

Zugleich verspricht er nicht jeden Minigedanken und jedes Minierlebnis seines Tages zu twittern. Auch müsse mancher eben etwas auf seine Tweets und Antwort warten. Denn „zuerst kommt Marie, dann jede offline-Begegnung und wenn dann - wie jetzt - Zeit ist, auch Tweets. :-)“ Darum liegen auch schon mal 16 Stunden zwischen Frage und Antwort.

Keine Terminabsprachen via Twitter

Übrigens: Terminvereinbarung per Tweet lehnt Gabriel ab. Aber einen transparenten Einblick in seine Arbeit, den twittert er fix herum - als jemand fragt: Der Dienstagskalender birgt ein Treffen mit Kommunalvertretern (Kommunale Schulden), dem Bankenverband (Finanztransaktionssteuer), ein Betriebsrätetreffen und eine Buchpreisverleihung. Zur Überraschung des fragenden Bloggers Dennis Klüver, aber Gabriel beharrt: „Was ich dienstlich mache, geht Sie was an. Nur was ich privat mache nicht.“

Zumindest gibt der SPD-Chef frei zu, witzige Konter parat zu haben. Ob ihm das im direkten Gespräch auch sofort eingefallen wäre, kann man zwar nicht prüfen. Aber als ihm jemand schreibt: „Mein lieber Herr Gesangsverein Frau #Nahles ist bald so dick wie ihr Parteivorsitzender“ - ist er doch zur Stelle: „Lieber K: lieber dick als doof. Ganz schlimm, wenn man beides ist: also passen Sie schön auf: bloß nicht zunehmen“

Gabriel lässt sich bei Twitter nur schwer bremsen 

Damit aber dann doch nichts arg unter die Gürtellinie geht, hat der wort-impulsive Gabriel ein Auffangnetz. Die SPD-Onliner Sebastian Reichelt und Teresa M. Bücker hätten ein Auge auf ihn. Denn so einen Proteststurm wie im März auf Facebook soll der SPD-Chef dann doch nicht noch einmal auslösen. Bei einem Nahost-Besuch hatte er im Zusammenhang mit der israelischen Siedlungspolitik von einem „Apartheid-Regime“ gesprochen. Danach rieten ihm seine Berater zur Vorsicht. Doch der Chef ist nunmal der Chef. Wenn twittern, dann persönlich: „Mache ich selber. Meine Jungs wollen mich aber bremsen.“

So langsam rollt die Onlinekarriere an: In 2009 ließ Gabriel, damals Bundesumweltminister, seine ersten Tweet-Versuche noch durch seinen Büroleiter absetzen.

Drei Jahre zuvor ließ der Bundesumweltminister noch den Macher des Blogs „Mein Parteibuch“, Marcel Bartels, abmahnen. Er solle ein Gabriel-Foto entfernen - obwohl er sich nur registrieren musste, um das einfach selber zu machen. Doch heute, da ist Sigmar Gabriel eben ganz 2012 und frei Schnauze.