Neumünster. Marina Weisband hat am Wochenende den Bundesvorstand der Piratenpartei verlassen. Im Interview mit DerWesten spricht die junge Piratin über ihr Zukunftspläne, Star-Appeal und Kunst.

Die Piraten haben auf ihrem Parteitag einen Nachfolger für die ausscheidende politische Geschäftsführerin Marina Weisband gewählt. Der sich als "Gesellschaftskünstler" bezeichnende Johannes Ponader wurde am Sonntag von den rund 1400 Parteitagsteilnehmern mit 74,4 Prozent der Stimmen gewählt. Der 35-Jährige lebt in Berlin und arbeitet als freischaffender Schauspieler, Regisseur und Autor.

Seine Vorgängerin Weisband war in ihrer einjährigen Amtszeit häufig in Talkshows präsent, hatte aber wegen Überlastung nicht noch einmal kandidiert. Über ihre Zukunftspläne sprach DerWesten mit der 24-Jährigen.

Frau Weisband, Sie führen einen eigenen Blog im Internet, in dem Sie sehr viel über Kultur und Kunst schreiben. Was interessiert Sie am Kunst- und Kulturbereich besonders?

Weisband: Mich interessiert vor allem die Interaktion zwischen Gesellschaft und Kunst und auch zwischen Politik und Kunst.

Was ist das Besondere an der Interaktion zwischen Politik und Kunst?

Weisband: Das Besondere ist, dass die Kunst eine Art zu denken lehrt, die uns in der Politik oft fehlt. In der Politik agiert man häufig so, dass man neue Ideen abschmettert, ohne tiefer hineinzugehen. Man sieht immer nur die Gefahren. In der Kunst muss man, wenn man kreativ sein will, erstmal ganz viele Ideen sammeln, ohne sie zu verwerfen, und sie dann weiterentwickeln.

Sehen Sie sich als Politikerin oder eher als Künstlerin?

Weisband: Weder noch. Ich bin in erster Linie Mensch. Und ich habe eine Liebe zu Menschen. Und die drückt sich in verschiedenen Bereichen aus, zum Beispiel in Zeichnungen, Politik und Psychologie.

Als Typ wirken sie eher wie eine Künstlerin.

Weisband: Gut möglich. Vielleicht ist die Piratenpartei für mich auch eine Art Kunstprojekt. Oder meine Kunst ist ein Gesellschaftsprojekt - ich weiß es nicht. Das geht sehr Hand in Hand. Ich finde es wichtig, dass man das nicht so in Kategorien und Schubladen einteilt. Diese Trennung ist rein künstlich.

Sie schreiben ihre Diplomarbeit im Studienfach Psychologie über ein Modell, mit dem Sie die Wertestrukturen ukrainischer Kinder messen. Was sind Ihre eigenen Werte?

Weisband: Ich hab mich mal selbst getestet und da kam heraus, dass Hedonismus und Selbstentwicklung bei mir stark verankert sind, also klassisch liberale Werte. Vor allem möchte ich versuchen, meine eigenen Potenziale auszuschöpfen.

Was sind Ihre Potenziale?

Weisband: Ich glaube, ich kann gut mit Menschen, weil ich Menschen mag und Potenziale in ihnen sehe und mich stark auf sie einlasse. Ich lerne außerdem sehr gerne. Es gibt sehr viel Dinge, die ich gerne mag und tue. Ich bin Songwriter, ich zeichne, ich mache Politik, ich mache Psychologie, ich programmiere. Also alles, was man sich so anreichern kann.

Und in welchem dieser Bereiche sind sie richtig gut?

Weisband: Ich bin sehr schlecht darin, mich selber zu loben. Man vergleicht sich ja eher mit den Leuten, die hauptsächlich in diesen Bereichen tätig sind. Ich mache einfach sehr viel, ich gehe mehr in die Breite als in die Tiefe. Das hilft mir aber auch, den Überblick zu behalten und hat mich auch für den Posten als politische Geschäftsführerin kompetent gemacht. Ich bin gut darin, viele Bereiche zu überblicken. Ich weiß nicht, ob ich in einem Amt, in dem man fachlich richtig gut sein muss, ebenfalls gut wäre. Aber Bereiche, die ich gut beherrsche, sind sicher Psychologie und Kommunikation.

Analysieren Sie Menschen, wenn Sie sie treffen?

Weisband: Nein, ich mache nicht das, was man sich unter der klassischen Psychoanalyse vorstellt. Das ist in der empirischen Psychologie sowieso nicht der Fall. Freud ist out. Und ich schaue,auch nicht auf die Körperhaltung, aber ich mache natürlich etwas, was ich vor meinen Studium auch schon immer gemacht habe: Ich schätze Menschen ganz intuitiv ein.

Was machen Sie eigentlich nach Ihrem Diplom?

Weisband: Ich werde vermutlich schon parallel dazu ein Buch schreiben über grundlegende Prozessänderungen, die in der Politik notwendig sind.

Karriereentscheidung?

Weisband: Ganz ehrlich, keine Ahnung. Ich lasse mich treiben. Ich muss mal sehen, ob ich mir irgendwann eine Psychotherapieausbildung leisten kann. Das hängt auch davon ab, wie viel ich fürs Buch kriege. Wenn tatsächlich ein bisschen was übrig bleibt, mache ich vielleicht die Ausbildung. Ansonsten könnte ich mir die eh nicht leisten. Dann müsste ich überlegen, in die Schulpsychologie zu gehen oder in die Politik zurückzukehren.

Was favorisieren Sie?

Weisband: Ich weiß es nicht. Ich muss mal sehen, wie sehr mir das fehlt, wenn ich nicht mehr in der Politik bin.

Aber der Gedanke, sich später einmal als Psychotherapeutin niederzulassen, steht weiterhin im Raum?

Weisband: Ja, auch wenn ich den Gedanken zunehmend seltsam finde, immer nur mit einer Person zu tun zu haben und mich nur auf das Problem, einer Person einzulassen anstelle von gesellschaftlichen Problemen.

Nochmal zum Buch - bewusste Karriereentscheidung für die Politik oder Mittel zum Zweck, um ein bisschen Geld reinzuspülen für die Ausbildung?

Weisband: Ich habe meinem Agenten gesagt, dass solange ich das Buch schreibe, davon leben können muss. Das ist erstmal die Basis. Bei der Verlagswahl sind mir aber auch andere Aspekte wichtig, zum Beispiel wie transparent ich den Schreibprozess gestalten kann. Ich würde gerne als kleines Experiment ein Kapitel, das ich heikel finde, vorab veröffentlichen und zur Kritik freigeben.

Und dann dürfte man daran mitarbeiten?

Weisband: Zumindest an einem kleinen Teil.

Was sind denn Ihre Gedanken, die Sie in dem Buch skizzieren möchten?

Weisband: Ein Teilgedanke ist, dass der Politiker eine neue Rolle einnehmen muss. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Informationen immer offener sind. Im Netz hat man die Möglichkeit, 24/7 öffentlich zu sein, zum Beispiel auf Twitter. Bislang wurden Politiker eigentlich immer nur in den Nachrichten öffentlich. Da mussten sie gut reden, gut gekleidet sein und kompetent wirken. Sonst wäre die Bevölkerung beunruhigt. In den neuen Medien haben sie die Möglichkeit, Einblick zu geben in ihren politischen Alltag. Sie können vermitteln, was Politik ist und wie sie gemacht wird. Die Bürger müssen verstehen, dass auch Politiker Fehler machen und die Politiker dürfen keine Angst mehr vor den Bürgern haben.

Sind Sie ein Star?

Weisband: Nein, ich bin kein Star. Ich bin eine gehypte Person.

Wo ist der Unterschied? Ein Hype entsteht doch nur um Personen mit Star-Appeal.

Weisband: Ich weiß nicht, was Star-Appeal ist. Ich denke, ein Star ist jermand, der von vielen Menschen geliebt wird. Eine gehypte Person ist jemand, der von den Medien geliebt wird.

Ihre Partei liebt sie auch.

Weisband: Die Partei mag mich, weil ich viel Arbeit und gute Arbeit gemacht habe. Ich sehe mich wirklich nicht als Star. Ich genieße es, dass ich Aufmerksamkeit bekomme und gehört werde.

Wie viel Narzissmus ist notwendig, um in die Politik zu gehen?

Weisband: Gar keiner.

Sind Sie narzisstisch?

Weisband: Ein wenig, im gesunden Maß. Ich betrachte duchaus gern Fotos von mir, wenn sie schön sind. Ich habe nichts gegen mich, ich mag mich als Mensch. Aber ich muss mir nicht alle Fernsehsendungen mit mir nochmal anschauen oder mich immer selbst reden hören. Es fällt mir nicht schwer, mich zurückzunehmen. Ich merke das auch daran, dass ich nicht traurig bin, wenn ich jetzt weniger Aufmerksamkeit von den Medien bekomme.

Sie sagen, Sie mögen sich. Gibt es auch schlechte Seiten an Marina Weisband?

Weisband: Ich habe oft Stimmungsschwankungen und werfe Dinge durch die Gegend und schnauze mir nahe stehende Personen an. Das ist meine schlechte Seite.