Düsseldorf/Essen. In zwölf Bundesländern hat die umstrittene Glaubensgemeinschaft bereits die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts - und damit die gleichen Privilegien, wie die großen Kirchen. NRW windet sich noch.

Die umstrittene Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas will auch in NRW als Körperschaft des öffentlichen Rechts zugelassen und somit den großen Kirchen gleichgestellt werden. Vor sechs Jahren stellten die Zeugen einen entsprechenden Antrag. Doch das Land zögert bis heute mit einer Entscheidung. „Wir wollen erst die Gerichtsverfahren in anderen Bundesländern abwarten“, sagte der Sprecher der Staatskanzlei, Rudolf Schumacher. Wie DerWesten aus informierten Kreisen erfuhr, lotet NRW derzeit jedoch Möglichkeiten aus, wie das Land bei Bedarf den Körperschaftsstatus wieder entziehen könnte.

Bislang ist die umstrittene Religionsgemeinschaft in zwölf von 16 Bundesländern als Körperschaft anerkannt. Rheinland-Pfalz, Bremen und Baden-Württemberg sträuben sich gegen eine Zulassung. Die Zeugen Jehovas haben diese Länder mit Prozessen überzogen und wollen die Zulassung dort gerichtlich einklagen. Würde sich NRW ebenfalls gegen eine Zulassung aussprechen, drohte dem Land wohl auch ein Prozess.

Hoffnung auf eine Reihe von Privilegien

Erst vor wenigen Wochen erlitt das Land Rheinland-Pfalz eine Niederlage vor dem Verwaltungsgericht in Mainz. In Bremen, wo die Bürgerschaft ebenfalls gegen die Zulassung gestimmt hatte, legten die Zeugen Jehovas Verfassungsbeschwerde ein. Das Verfahren läuft noch.

Als erstes Land musste Berlin 2006 den Zeugen Jehovas den Status einräumen. Vorausgegangen war ein 15-jähriger Rechtsstreit, der bis vor das Bundesverfassungsgericht ging. Im Anschluss beantragten die Zeugen Jehovas in allen Bundesländern eine so genannte Zweitzulassung.

Als Körperschaft des öffentlichen Rechts würden die Zeugen Jehovas eine ganze Reihe an Privilegien erhalten. Sie bekämen steuerliche Vergünstigungen, könnten Kirchensteuern mit Hilfe der staatlichen Finanzverwaltung eintreiben. Des Weiteren dürften sie Religionsunterricht anbieten, konfessionelle Kindertageseinrichtungen und Schulen gründen, oder müssten in Rundfunkgremien angemessen berücksichtigt werden.

Zeugen Jehovas wollen Image als Sekte loswerden

Bislang ist jedoch nicht bekannt, dass die Glaubensgemeinschaft in den Bundesländern, in denen sie diese Rechte schon hat, sie auch einfordert. Aus Sicht von Sabine Riede vom Verein Sekten-Info NRW verfolgen die Zeugen Jehovas mit der Zulassung vor allem ein Ziel: Ihr Image als Sekte loszuwerden.

Eine Bedingung, um als öffentlich-rechtliche Körperschaft zugelassen zu werden, ist die sogenannte Rechtstreue. Die Religionsgemeinschaft muss das geltende Recht beachten und darf durch ihr Verhalten weder fundamentale Verfassungsprinzipien noch Grundrechte Dritter gefährden.

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Rheinland-Pfalz hatte jedoch bezweifelt, dass die Zeugen Jehovas „das erforderliche Maß an Rechtstreue erfüllen“ und die Zuständigkeit staatlicher Organe akzeptieren, so der Sprecher des rheinland-pfälzischen Kultusministeriums. Die Anwälte des Landes hatten die Rechtstreue der Zeugen Jehovas unter anderem infrage gestellt, da es "Tausende Berichte von Aussteigern" gebe, die in ihrer Entscheidung behindert worden seien. Zudem verbiete die Religionsgemeinschaft ihren Mitgliedern die Teilnahme an Wahlen. Doch dieser Auffassung folgte das Mainzer Verwaltungsgericht – wie schon im Jahr 2000 das Bundesverfassungsgericht– nicht.

Sabine Riede von Sekten-Info NRW hält eine Zulassung der Zeugen Jehovas als Körperschaft dennoch für „problematisch“. „Die Zeugen Jehovas sind eine Glaubensgemeinschaft mit großem Konfliktpotenzial“, meint sie. „Vor allem in der Frage der Kindswohl-Gefährdung hätte das Gericht stärker gewichten müssen.“ Die Ablehnung von Bluttransfusionen durch die Glaubensgemeinschaft beispielsweise könne das Leben von Kindern gefährden, falls der Staat nicht rechtzeitig davon erfahre. Auch der psychische Druck, der auf Aussteiger ausgeübt werde, sei immens.

Sie befürchtet besonders, dass die Zeugen Jehovas nach ihrer Zulassung vereinzelt Privatschulen betreiben wollen, um die Kinder noch stärker von der Gesellschaft abzuschotten.

Zeugen Jehovas sollen sich nicht mehr abschotten

Auch die Kirchen sehen eine rechtliche Gleichstellung kritisch. Andrew Schäfer, Leiter des Referates Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland, rechnet zwar damit, dass nach der aktuellen Rechtsprechung die Zulassung auch in NRW kommt. „Ich würde dies aber sehr bedauern. Ich kenne aus meinen Beratungen viele Fälle, die zeigen, wie Menschen unter den Repressalien der Zeugen Jehovas massiv leiden können.“

Schäfers Forderung an die Zeugen Jehovas ist deutlich: „Wenn ihnen die Zulassung gewährt wird, müssen sie sich daran messen lassen, wie sie mit der Gesellschaft, die sie bislang abgelehnt haben, umgehen. Sie müssen ihren Mitgliedern eine Beteiligung am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Zeugen Jehovas ermöglichen. Es muss Schluss mit der Abschottung sein!“

Die Zeugen Jehovas wollen ihrerseits die Entscheidung in NRW abwarten, wie ein Sprecher gegenüber DerWesten erklärte. Hierzulande müsste - anders als in den meisten Bundesländern - der Landtag über den Körperschaftsantrag beschließen. In Regierungskreisen wird aber darüber nachgedacht, die Verleihung einer Körperschaft generell als Verwaltungsakt in die Hände der Landesregierung zu legen. Dann könnte bei Verstößen die Körperschaft einfacher wieder aberkannt werden. Dafür müsste jedoch das Gesetz geändert werden. Doch damit ist in Zeiten der Minderheitsregierung nicht so schnell zu rechnen, heißt es in Regierungskreisen.