Essen. . Die Alzheimer-Forschung steht vor einem Umbruch. Hinter dem Leid, das etwa eine Million Menschen in Deutschland betrifft, steckt womöglich eine Infektion. In einer Studie werden Antibiotika getestet. Und es gibt den Verdacht, dass
Mehr als hundert Jahre ist es her, dass der deutsche Psychiater Alois Alzheimer die Krankheit, die das Gehirn zerstört, entdeckte. Bis heute gilt sie als unheilbar – und als komplettes Rätsel. Wo liegt die Ursache? Lange stocherten die Experten im Nebel. Doch nun steht die Forschung vor einem Umbruch: Hinter dem Leid, das etwa eine Million Menschen in Deutschland betrifft, steckt womöglich eine Infektion.
Prof. Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen hat im Tierversuch etwas nachgewiesen, das die Fachwelt elektrisierte. Zwar wusste man schon, dass Mäuse, denen man Hirngewebe verstorbener Alzheimer-Patienten unter die Schädeldecke spritzte, die typischen Zerstörungsmuster zeigten. In Juckers Labor injizierte man das Gewebe aber in die Bauchhöhle der Tiere– kurze Zeit später zerfielen auch diese Mäusehirne. Wie kam der Stoff ins Hirn? Hat er sich wie eine Infektion übers Blut ausgebreitet?
Partner von Alzheimer-Patienten mit sechsfach höherem Risiko
„Als Neurobiologe mit dem Spezialgebiet Zellbiologie muss ich sagen: Ja, es sind infektiöse Strukturen vorhanden“, so Prof. Jucker, der aber sofort ergänzt, dass es sich um einen Tierversuch handelt. Und es keinerlei Hinweise gibt, dass Alzheimer von Mensch zu Mensch übertragbar ist. „Das hätte sich dann ja wohl schon gezeigt.“
Viele stimmen ihm zu. Doch eine Studie weicht die Erkenntnis auf: In Utah haben Experten 1221 Ehepaare über 15 Jahre beobachtet – einige bekamen Alzheimer. Das Erschreckende: Die Partner, die sich um die Patienten gekümmert haben, hatten ein sechsfach höheres Risiko, ebenfalls zu erkranken.
Ablagerungen im Hirn
Infektion? Nein, so heißt es. Es war der Stress, dem die pflegenden Angehörigen ausgesetzt sind. Stress mache anfälliger für den Ausbruch von Alzheimer, so der Bochumer Altersmediziner Dr. Olaf Hagen, der aus der Praxis weiß, wie stark das Immunsystem der Pflegenden in Mitleidenschaft gerät.
Ob in der Praxis oder in der Theorie – es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass sich Partner direkt anstecken. Dennoch gibt es diese kleinen Irritationen. Wie die Behauptung von Prof. Claudio Soto, Neurobiologe am Serono Pharmaceutical Research Institute in Genf: Im Blut alzheimerkranker Mäuse würden infektiöse Eiweiße schwimmen, die man per Bluttransfusion auf gesunde Tiere übertragen könnte. Prof. Jucker ist skeptisch, aber er sagt: „Wir befinden uns an einem spannenden Punkt in der Alzheimer-Forschung.“
Lange galten die so genannten Amyloid-Plaques (Ablagerungen) als der Auslöser der Krankheit. Sie sind da, aber sie sind nicht die Ursache der Krankheit.
Bei der Suche nach dem Übeltäter entdeckten die Forscher drei Gene. Darunter eins (Amyloid Beta), das im Zusammenhang mit Entzündungen steht. Entzündungsreaktionen, also infektiöses Geschehen, ist zurzeit das Thema in der Demenzforschung.
Hoffnung Antibiotika
Das sieht auch einer der renommiertesten Alzheimer-Experten so, Prof. Hans Förstl, Chef der Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar in München. Er weist zwar darauf hin, dass der Umstand einer klassischen Infektionskrankheit keineswegs bewiesen sei, „wenngleich der Gedanke nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen ist, dass es eventuell doch so sein könnte. Stellen Sie sich vor, dass es tatsächlich eine Infektion wäre – damit ergäben sich natürlich spannende Möglichkeiten in der Vorbeugung und Behandlung.“
Die Krankheit wäre dann behandelbar, zum Beispiel mit Antibiotika. Zukunftsmusik, auch wenn Mediziner im kanadischen Hamilton in einer großen Studie den Nutzen testen. Befürworter der Infektionstheorie sehen das als Beweis: Wenn das genehmigt würde, sei das ein Zeichen, dass man die Erkenntnisse der Forschung ernst nimmt.