Brüssel. Der Sozialdemokrat Martin Schulz aus Aachen will mehr als Repräsentieren. Es gilt als sicher, dass er am Dienstag zum Präsidenten des EU-Parlamentes gewählt wird.

Martin Schulz gehört zu den Menschen, die Anführungszeichen sprechen können. Zum Beispiel das Wort „präsidial”. Das intoniert Schulz mit einer Mischung aus Abscheu und Heiterkeit. Soll heißen: Ich weiß ja, was ihr ­darunter versteht. Aber wartet mal ab – ich verstehe es ­anders! Wie genau, wird man demnächst erfahren: Am Dienstag soll der SPD-Mann Schulz zum Präsidenten des Europäischen Parlaments in Straßburg gewählt werden. Seine Wahl gilt als sicher.

Der Posten wurde bis jetzt vom polnischen Christdemokraten Jerzy Buzek und davor von dessen deutschen Fraktionskollegen Hans-Gert Pöttering bekleidet. Das sind zwei silberhaarige Herren mit guten Umgangsformen, friedfertiger Art und einem unbestreitbaren Talent, Einvernehmen herzustellen. Schulz geht das ab. Das Harmonisieren und Repräsentieren ist seine Sache nicht. Politik ist Kampf, und wo Schulz ist, ist Politik, unter welcher vornehmer Bezeichnung auch immer. „Ich werde als Präsident dem Amt ein anderes Gesicht geben”, sagt der 56-Jährige, dem zur Silberhaarigkeit so gut wie alles fehlt.

Buchhändler, Bürgermeister und - fast - ein Profi-Fußballer

So will Schulz sich nicht damit bescheiden, wie seine Vorgänger zum Gipfel-Auftakt Merkel und ihren Mitstreitern ein paar goldene Worte zu spenden und ansonsten die Annehmlichkeiten des reiseintensiven Amtes zu genießen. Er will mitmischen. Und den Nachweis liefern, dass Europa für einen deutschen Politiker nicht das Abkling-Becken der Karriere sein muss.

Schulz kommt aus Würselen bei Aachen. Da war er Fußballer (mit Profi-Aussichten, die eine Verletzung zunichte machte) beim Derwall-Club Rhenania, Buchhändler und Bürgermeister. Aus seiner Sicht ist Würselen kein Kaff, sondern das gegebene Sprungbrett: „Wenn man auf die Europa-Landkarte schaut, ist das ein Vorort von Brüssel.”

„Dä will noch jett“

Europa war also die Blickrichtung. 1994 wurde Schulz in die Volksvertretung der EU gewählt. Beziehungsweise, wie er sagt, „ins Europäiche Pallament” - ein Ausfluss „meiner mittelrheinichen Konsonantenschwäche”. Im Englischen und Französischen parliert er eleganter. So stemmte er sich mit Fleiß, Instinkt, viel Ellenbogen und Begabung zum unmissverständlichen Wort nach oben: Vorsitzender der SPD-Gruppe, Fraktionschef der Sozialisten, Spitzenkandidat bei den Europawahlen. Für Buzek und Pöttering war der Vorsitz im Parlament der Karriere-Höhepunkt. Für Schulz gilt ein anderes Motto: „Dä Martin - dä will noch jett!“