Hagen. . Die FDP hofft auf bessere Zeiten - 2011 verlief für die Liberalen katastrophal. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr spricht im Interview über den Zustand der Partei und wirft SPD-Chef Gabriel scheinheiliges Verhalten in der Wulff-Affäre vor.

Ist Christian Wulff ein guter Bundespräsident?
Der Bundespräsident hat für Transparenz gesorgt und er hat sich einer schwierigen Situation gestellt wie noch kein anderer Bundespräsident vor ihm. Vieles von dem, für das er in der Kritik stand, wurde inzwischen aufgeklärt. Manche versuchen jetzt, daraus eine parteitaktische Diskussion zu machen, das ist ihm und auch dem Amt nicht angemessen.

Sigmar Gabriel hat angeboten, sich gemeinsam mit der Koalition über einen Nachfolger zu einigen.
Das ist eine scheinheilige Offerte. Gabriel sorgt sich angeblich um das Ansehen des Präsidentenamts, aber belastet es selbst durch eine Phantom-Nachfolgedebatte. Es ist klar, dass dabei parteipolitische Interessen im Mittelpunkt stehen. Aber man fragt sich ja auch, wer für die SPD spricht: Herr Gabriel bietet Gespräche an, seine Generalsekretärin Nahles fordert Neuwahlen. Was will die SPD wirklich? Mir ist das nicht bekannt.


Hat Herr Wulff dem Amt geschadet?
Das Amt ist nicht beschädigt, aber er hätte schneller und präziser für Aufklärung und Transparenz sorgen sollen.


Zur FDP: Der Jahresauftakt ist nicht gelungen, oder?
Ich bin zufrieden, weil der Parteivorsitzende beim Dreikönigstreffen mit dem Thema Wachstum ein neues, verbindendes Thema gesetzt hat. Die FDP ist die einzige Partei, die für Fortschritt steht, für Mut zur Veränderung. Das Dreikönigstreffen war der Beginn des Wiederaufstiegs der FDP.


Koalitionsende im Saarland, zwei Prozent in Umfragen, Mitgliederschwund, Lindner-Rückzug – kann es noch schlimmer kommen? Schlimmer kann es nicht mehr kommen. 2011 war ein schwieriges Jahr mit vielen Herausforderungen. Aber wir bewahren die Nerven, sonst können wir das Vertrauen der Wähler nicht zurückgewinnen. Wir müssen uns in den kommenden eineinhalb Jahren voll auf die Regierungsarbeit konzentrieren. In der Euro-Krise steht die Mehrheit der Bevölkerung ja hinter unserer Position, denn wir sorgen dafür, dass unsere Währung stabil bleibt. Die FDP hat Eurobonds verhindert, SPD und Grüne wollten sie.


Welche Fehler haben Sie denn gemacht?Wir erlangen das Vertrauen der Wähler nicht zurück, indem wir pausenlos alte Fehler diskutieren, sondern zeigen, dass gerade die FDP den Unterschied macht. Wir müssen betonen, dass die FDP am besten auf das Geld der Bürger achtet, für Leistungsgerechtigkeit sorgt und Toleranz und Bürgerrechte wahrt. Und diese Kombination gibt es in keiner anderen Partei.

Im Moment ist unser Hauptthema, dass wir für solide öffentliche Finanzen sorgen. Wir haben zum Beispiel nicht wie die NRW-Landesregierung die Verschuldung in die Höhe getrieben, sondern haben auch mit unbequemen Entscheidungen Einsparungen vorgenommen und die Neuverschuldung abgebaut.


Aber Sie werden doch in NRW möglicherweise für den Haushalt stimmen. Mal wird uns vorgeworfen, dass wir eine Fundamentalopposition betreiben, wie etwa beim Thema Einheitsschule. Mal wird uns Anbiederung unterstellt, wenn wir bei den Kommunalfinanzen einen Kompromiss finden, der die Kommunen stärkt. Wir machen weder das eine, noch das andere, sondern orientieren uns an unseren Prinzipien. Und so wie der Haushalt in NRW jetzt vorliegt, kann die FDP ihm nicht zustimmen. Es werden falsche Prioritäten gesetzt, und es fehlt das mutige Einsparen. Wir werden die Haushaltsberatungen mit großem Interesse verfolgen und abwarten, was Rot-Grün machen wird.


Vielleicht noch einmal zurück zu den Fehlern... Wir haben uns in der Vergangenheit zu sehr mit uns selbst beschäftigt, etwa bei Personalfragen und bei der Euro-Diskussion. Daraus sollten alle in der FDP jetzt lernen: Ab jetzt wird alles, was intern ist auch intern bleiben.


Zur Gesundheitspolitik: Ist Ihre Pflegereform der große Wurf? Sicher hätte ich mir mehr Kapitaldeckung und Eigenvorsorge gewünscht. Aber jetzt erhalten zum Beispiel erstmals demente Pflegebedürftige Leistungen. Das ist ein großer Fortschritt. Gute Pflege gibt es auch in Zukunft nicht zum Nulltarif. Wir können die demografische Entwicklung nicht wegreformieren, weshalb wir jetzt Strukturen stärken müssen. Als Beispiel nenne ich Wohngruppen, die dazu führen, dass nicht jeder sofort ins Heim muss, wenn er pflegebedürftig wird.

Fürchten Sie eine Zweiklassengesellschaft in der Pflege? Für mich ist wichtig, dass bei der notwendigen pflegerischen Versorgung der Menschen kein Unterschied gemacht wird, ob jemand vermögend ist oder nicht. Es gibt bei der Unterbringung Unterschiede, aber das entspricht auch dem Leistungsprinzip.


Was unternehmen Sie gegen die eklatante Ungleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten im Gesundheitsbereich?: Das gerade beschlossene Versorgungsstrukturgesetz sieht vor, dass Ärzte und Krankenkassen künftig verpflichtet sind, in ihren Verträgen für angemessene Wartezeiten zu sorgen. Es gibt Verträge, die vorsehen, dass Ärzte zusätzliches Geld bekommen, wenn sie gewährleisten, dass innerhalb von fünf Tagen beispielsweise ein Facharzttermin zustande kommt und die Wartezeit beim angemeldeten Termin nur 30 Minuten ist. Bei der notwendigen Behandlung gibt es schon jetzt keine Unterschiede.

Zu den gefährlichen Brustimplantaten: Wie können in Zukunft solche Skandale verhindert werden? Durch eine bessere Überwachung. Es müssen in Zukunft beispielsweise mehr unangemeldete Kontrollen bei Medizinprodukten durchgeführt werden. Allerdings spielt in diesem Fall kriminelle Energie eine erhebliche Rolle. Deswegen müssen die Verantwortlichen hart bestraft werden; das Unternehmen hat bei Kontrollen offensichtlich bewusst getäuscht und gelogen.