Essen. . Jahrelang war Jan-Robert von Renesse am Landessozialgericht Essen zuständig für die Renten-Klagen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter und deren Angehöriger – bis ihm das Gericht 2010 die Zuständigkeit entzog. In einem langen Brandbrief beklagt der Richter jetzt „massive persönliche Anfeindungen“.

Ein beispielloser Richterstreit am Landessozialgericht (LSG) Essen erschüttert die NRW-Justiz. Richter Jan-Robert von Renesse (45), der mit Rentenverfahren für ehemalige NS-Zwangsarbeiter internationales Renommee ­erlangte, hat in einem Brandbrief an den Landtag massive Vorwürfe gegen Teile der ­Richterschaft am LSG und ­Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) erhoben.

In dem vierseitigen Schreiben beklagt Renesse „massive persönliche Anfeindungen“ und „erheb­liche Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und in die richter­liche Unabhängigkeit“.

Wichtige Beweiserhebungen seien vereitelt, Schriftstücke vernichtet und Vorgänge sabotiert worden, so der Richter. Justizminister Kutschaty decke all diese Vorgänge und habe ihm „ausdrücklich untersagt, auf parlamentarische ­Anfragen hierzu zu antworten“, schreibt Renesse.

Justizminister hält Vorwürfe für „unhaltbar“

Justizminister Kutschaty ­sagte auf Anfrage, die zahlreichen Vorwürfe hätten sich „im Kern als unhaltbar“ erwiesen. Das zuständige Richterdienstgericht habe sie ebenfalls zurückgewiesen. Renesse unterliege überdies wie jeder Richter der allgemein geltenden Verschwiegenheitspflicht.

Auch der Bund Deutscher Sozialrichter wehrt sich in einer Stellungnahme gegen die Vorwürfe des Richters und „gegen Medienberichte, wonach Überlebende des Holocaust um ihre Renten gebracht und Opfer von Kungeleien beim Landessozialgericht NRW geworden sein sollen“. Als Motiv für die Anschuldigungen von Renesse führt der Bund „persönliche Karriereerwartungen“ an, die enttäuscht worden seien.

Dem widerspricht widerum Renesse entschieden: „Hätte man vorher mit mir als Betroffenem gesprochen, so hätte ich erläutern können, dass mein Handeln als Richter allein von meinem Gewissen geleitet war und ist und nicht etwa von Karrieregesichtspunkten“, erklärte er am Mittwoch.

Der aus Hamm stammende Jurist hatte als erster Richter der Bundesrepublik seit 2006 hochbetagten Holocaust-Überlebenden die Möglichkeit gegeben, in Israel auszusagen. Renesse beendete damit die jahrzehntelange Praxis der Urteile nach Aktenlage.

Thema im Rechtsausschuss

Er reiste mehrfach nach Israel, holte 500 wissenschaftliche Gutachten ein. Laut „Spiegel“ habe Renesse nicht länger hinnehmen wollen, „dass sich die zuständige Rentenversicherungsbehörde in ihren Bescheiden auf teils fragwürdige Quellen wie das Internetlexikon Wikipedia bezog“.

Als das Landes­sozialgericht Renesse im April 2010 überraschend die Zuständigkeit für die sogenannten Ghetto-Rentenverfahren entzog, sorgte dies für erhebliche ­Unruhe in der ­Landespolitik. Jetzt will die CDU-Fraktion den Brief vom 14. November 2011 im Rechtsausschuss in einer Sondersitzung thematisieren.