Leipzig. . Auf dem CDU-Parteitag wollte Kanzlerin Angela Merkel ihren Kollegen den Modernisierungskurs der Partei schmackhaft machen. So warb sie kräftig für Mindestlohn und Atomausstieg. „Unser Kompass ist unverändert“, versicherte sie jedoch zugleich. Es ist ein Parteitag der ruhigen Töne.
Eine Müsli-Schnitte bekamen die Delegierten der CDU gleich am Eingang zur Leipziger Parteitagshalle in die Hand gedrückt. Mit Hilfe der 390-Kalorien-Päckchen wollte der Deutsche Gewerkschaftsbund den Parteimitgliedern seine Forderung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro schmackhaft machen. "Niedriglöhnen endlich einen Riegel vorschieben" - das will nun auch die CDU. Nur das Wort Mindestlohn nimmt sie dabei nicht so gerne in den Mund.
Für einige ist das ein weiterer Richtungsschwenk der Partei - nach Atomausstieg, Aussetzen der Wehrpflicht und dem geplanten Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem. Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchte in ihrer Leipziger Rede daher, aufgeregte Gemüter zu beruhigen: "Unser Kompass ist unverändert, doch die Zeiten, in denen wir leben und arbeiten, verändern sich fortlaufend." Veränderungen als Zeichen von Grundsatztreue - nach diesem Muster begegnete Merkel der Profildebatte.
"Bestimmend ist unser christliches Menschenbild"
Eine klassische Parteitagsrede war es nicht. Scharfe Attacken auf die Opposition oder Motivationsparolen für die Basis fanden sich kaum. Dafür setzte die Parteichefin den CDU-Mitgliedern ihren Kurs nüchtern auseinander. Von der Atompolitik über die Wehrpflicht bis zur Euro-Krise stellte Merkel die Entscheidungen der Regierung als logische Folge dar. "Alles bestimmend ist dabei unser christliches Menschenbild", versicherte sie - richtig belegen konnte sie das allerdings nicht. Der Beifall blieb daher während der Rede eher mau, erst am Schluss bedachte die CDU-Basis ihre Chefin mit fast sechsminütigem rhythmischen Klatschen.
Es war CDU-Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der in der anschließenden Aussprache ziemlich scharf mit denjenigen ins Gericht ging, die bei den Christdemokraten lautstark das Konservative vermissen. Konservativ sei für ihn jemand, der "bescheiden" auftrete, der "trompetet nicht durch die Gegend", mahnte der Politiker, der nach Meinung vieler in der CDU Parteiwerte wie Solidität und Zuverlässigkeit inzwischen am besten repräsentiert. Inhaltlich verteidigte de Maizière den pragmatischen Merkel-Kurs: "Hören wir auf damit, nur aus der Sehnsucht nach der Vergangenheit zu leben", mahnte er die Partei.
"Parteitag der Geschlossenheit"
Ansonsten aber setzte die sachliche Rede der Vorsitzenden den Ton für einen Parteitag, der noch vor wenigen Tagen ziemlich ungemütlich zu werden drohte. Im Konflikt um den Mindestlohn rechnete auch Generalsekretär Hermann Gröhe fast bis zuletzt mit einer streitigen Abstimmung auf dem Parteitag. Und tapfer erklärte er dies stets zu einem "ganz normalen Vorgang". Noch am Wochenende waren die Zeitungen gefüllt mit Interviews, in denen die Vertreter der verschiedenen Positionen für ihre Haltung warben. So bekräftigten die Parteivize Norbert Röttgen und Ursula von der Leyen ihre Forderungen nach der Orientierung an den rund sieben Euro Stundenlohn in der Zeitarbeit sowie nach möglichst weitgehender Allgemeinverbindlichkeit. Gegen beides hatte sich Merkel ausgesprochen.
Doch am Abend vor Beginn der eigentlichen Parteitagsberatungen schien der CDU-Spitze die Aussicht auf eine Kampfabstimmung und womöglich sogar eine Niederlage der Parteichefin nicht mehr so verlockend. Nicht nur Parteivize Volker Bouffier mahnte, Leipzig müsse "ein Parteitag der Geschlossenheit" werden. Überschriften wie "CDU gespalten in Frage nach Mindestlohn" hätten da empfindlich gestört.
Buchstäblich in letzter Minute wurde daher ein Kompromiss ausgehandelt. Demnach sollte sich der Parteitag zwar zu einer "allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze" für nicht-tarifgebundene Bereiche bekennen. Alles weitere sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften aushandeln, also auch, welche und wie viele Ausnahmen es geben soll. Merkel warb für diesen Kompromiss, der ihre Handschrift trägt - vielen Wirtschaftspolitikern in der Partei allerdings schon viel zu weit geht. Der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist das alles dagegen zu vage: Für sie ist der Lohnriegel der CDU eine "Mogelpackung". (afp)