Karlsruhe/Berlin. Die beiden männlichen Mitglieder einer mutmaßlichen rechten Terrorzelle haben vor ihrem Tod offenbar ihre Geständnisse gefilmt. Einem Medienbericht zufolge rühmen sich die Neonazis der Morde an mindestens neun Einwanderern. Derweil herrscht Entsetzen über das Ausmaß des rechtsextremen Terrors.

Die Ermittlungsergebnisse zu der offenbar von einer rechtsextremen Terrorzelle verübten Mordserie in Deutschland haben bundesweit Entsetzen ausgelöst. Der SPD-Politiker Thomas Oppermann bezeichnete die jüngsten Entwicklungen als "Weckruf" für die Bekämpfung des Rechtsextremismus. "Diese Täter zielen auf unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung. Die müssen und werden wir verteidigen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion am Samstag in Berlin. Repräsentanten von Türken, Muslimen und Juden in Deutschland forderten eine entschiedenere Bekämpfung des Rechtsextremismus. Forderungen nach einem NPD-Verbot wurden laut.

Hinweise auf weitere Anschläge

Im Zuge der Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorzelle von Zwickau geht die Bundesanwaltschaft auch Hinweisen auf bisher ungeklärte Anschläge mit möglichem rechtsextremen Hintergrund nach. Bislang gebe es aber "keine zureichenden Anhaltspunkte", dass dem Neonazi-Trio aus Zwickau - dem die Tötung einer Polizistin in Heilbronn und die sogenannte Döner-Mordserie mit neun Opfern zur Last gelegt wird - "Anschläge darüber hinaus zuzurechnen sind", sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Samstag. Momentan gebe es über diese Gruppe hinaus auch "keine weiteren konkreten Tatverdächtigen".

Bei den Ermittlungen werde aber auch das Umfeld der Beschuldigten Beate Z. und ihrer nahe Eisenach tot aufgefundenen mutmaßlichen Komplizen Uwe B. und Uwe M. einbezogen. Gegen die 36-jährige Beate Z. ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, wegen Mordes, versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung.

Grüne sprechen von "völlig neuer Dimension" der Bedrohung

"Sollte sich der Verdacht auf die Existenz rechtsterroristischer Strukturen bestätigen, zeigt das eine völlig neue Dimension rechtsextremistischer Bedrohung in der Bundesrepublik", erklärten die Grünen-Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth.

Uwe B. und Uwe M. sollen sich auch zu einem Bombenanschlag in Köln im Jahr 2004 bekannt haben. Wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am Samstag berichtete, hätten die beiden ein Geständnis auf DVD hinterlassen. Die beiden Neonazis rühmten sich zudem, mindestens neun Morde an türkischen und einem griechischen Einwanderer begangen zu haben.

Die Polizei verhöhnt

Die "taz" machte derweil weitere Details aus dem im Haus gefundenen "Bekennervideo" bekannt: So würden in dem auf DVD gespeicherten Clip Zeitungsausschnitte über die sogenannten Döner-Morde eingeblendet. "In einer anderen Sequenz hält die Comicfigur Paulchen Panther einem Polizisten eine Pistole an den Kopf und drückt ab", schreibt die Zeitung. Am Ende des Clips heiße es: "Wir oder sie." Zudem werde auf der DVD nach Angaben aus Sicherheitskreisen eine Fortsetzung angekündigt: "Nationalsozialistischer Untergrund II"

Nach Einschätzung der Ermittler gehen sowohl die Tötung einer Polizistin in Heilbronn im April 2007 als auch die sogenannten Döner-Morde, denen in den Jahren 2000 bis 2006 bundesweit acht türkischstämmige Männer und ein Grieche zum Opfer gefallen waren, auf das Konto der rechtsextremistischen Gruppierung.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, sagte, an einem Verbot der NPD führe nun "kein Weg mehr vorbei". Auch Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) erklärte: "Wir dürfen keine Anstrengungen scheuen, diese Partei verbieten zu lassen." Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, kündigte Protestaktionen gegen "Rechtsterrorismus" an.

Opfer nach den Morden fotografiert

Der "Tagesspiegel" berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Polizei wolle nun drei ungeklärte Sprengstoffanschläge in Berlin und Saarbrücken neu untersuchen. Das betreffe den im Dezember 1998 in Berlin verübten Anschlag auf das Grab von Heinz Galinski, dem einstigen Präsidenten des Zentralrats der Juden. Zudem gehe es um die beiden Sprengstoffanschläge auf die Wehrmachtsausstellung im März 1999 in Saarbrücken und auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg im März 2002.

Die Bundesanwaltschaft hat weitere Beweise für einen rechtsextremen Hintergrund der sogenannten Döner-Morde gefunden. In dem Zwickauer Haus seien mehrere DVDs gefunden worden, auf denen unter anderem ein Propagandafilm zu sehen sei, sagte der Sprecher der Behörde. Dieser beziehe sich auf eine Gruppierung mit dem Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Dem SWR-Hörfunk zufolge enthalten sichergestellte Propagandavideos auch Bilder von Opfern der Döner-Morde. Die Bilder zeigten mindestens drei Opfer der Taten unmittelbar nach ihrer Hinrichtung.

Seit den 1990er-Jahren unter Beobachtung

Oppermann zeigte sich schockiert, dass es einer rechtsextremen Bande gelinge, über zehn Jahre lang unbehelligt in Deutschland Morde zu begehen. Es sei zu fragen, "was da bei der Aufklärung schief gegangen ist". Immerhin hätten die mutmaßlichen Täter schon in den 1990er-Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden. "Der Thüringer Verfassungsschutz hatte 24 Aktenordner, aber keine Ahnung", sagte Oppermann, der Vorsitzender des für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums ist.

Auch der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl schließt nicht aus, dass den jüngsten Erkenntnissen eine Verfassungsschutz-Affäre folgt.

Die mutmaßliche Terrorzelle von Zwickau ist vor Jahren offenbar auf mögliche Verfassungsschutzkontakte überprüft worden. Der Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, Thomas Sippel, sagte dem Nachrichtenmagazin "Focus", er habe kurz nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2000 intensiv überprüfen lassen, ob die damals als "Bombenbauer von Jena" bekannten drei Personen irgendwann einmal als Informanten für den Verfassungsschutz gearbeitet hätten. Sippel zufolge wurden sämtliche Akten geprüft und alle Mitarbeiter befragt. Es habe sich kein Hinweis ergeben. Dennoch seien damals "letzte Zweifel nicht beseitigt" worden.

Auch der thüringische Innenminister Jörg Geibert (CDU) zweifelt am Verhalten der Landesbehörden bei der Verfolgung des Neonazi-Trios. Er werde er eine Kommission einsetzen, die die Vorgänge seit Januar 1998 untersuchen soll. (dapd)