Rom. . Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist am Samstagabend zurückgetreten. Er reichte nach Angaben des Präsidialamtes seinen Rücktritt bei Präsident Giorgio Napolitano ein, nachdem auch das Abgeordnetenhaus das neue Sparpaket verabschiedet hatte. Der Rücktritt markiert das Ende einer Ära. Ein Regierungsprogramm hatte er nie. Seine Politik hieß: Berlusconi.

Silvio Berlusconi hat seine Ankündigung wahrgemacht: Er reichte am Samstagabend sein Rücktrittsgesuch bei Staatspräsident Giorgio Napolitano ein, nachdem mit dem Abgeordnetenhaus auch die zweite Parlamentskammer das neue Sparpaket verabschiedet hatte. Das bestätigte gegen 21.45 Uhr das Präsidialamt. Berlusconi war wegen der hohen Staatsverschuldung immer stärker unter Druck geraten und hatte im Streit über den Sparkurs zuletzt auch den Rückhalt im Parlament verloren.

In der Stunde seiner Niederlage hatte Silvio Berlusconi dort bereits seine Verbitterung gezeigt. Noch auf der Regierungsbank im Parlament ließ sich der geschlagene Ministerpräsident die Liste jener Abgeordneten reichen, die in der entscheidenden Abstimmung gegen ihn votierten. „Die hab ich zur Bürgermeisterin gemacht. Bei dessen Kind war ich Taufpate. Der verdankt mir seine Ernennung zum Minister. Und die da, diese Frau Judas da…“ „Verräter!“ notierte er auf einem Handzettel.

Wieder hat sich Berlusconi in einer Karriere, die auf Mythen gebaut ist, einen neuen Mythos geschaffen: Er, der Held, stirbt nicht aus eigenem Versagen. Er stirbt an den Dolchstößen seiner Freunde.

Er machte „Rüben“ zu „Prinzen“

Da, im Parlament, sitzen sie alle: die „Rüben“, die er, allein er, „zu Prinzen gemacht“ hat, die schönen jungen Damen aus seinen Fernsehshows, die er auf sichere Listenplätze hievte, egal, was die Parteibasis davon hielt. Da sitzen seine persönlichen Strafverteidiger, die im Justizausschuss das durchsetzen, was sie vor Gericht für ihren Mandanten nicht schaffen. Da sitzen auch jene Nothelfer aus anderen Parteien, deren „Ja“ zu Berlusconi in dessen Schwächephasen einen sechsstelligen Preis hatte, von dem alle wissen, den aber nie jemand wird beweisen können.

Fedele Confalonieri, Berlusconis wohl ältester Freund, hat einmal gesagt: „Berlusconi ist in Wahrheit kein Politiker. Er ist ein Utopist. In einem anderen System könnte er ein aufgeklärter Fürst sein, als demokratischer Führer aber ist er eine Fehlbesetzung.“

Erfolg mit TV-Sendern

Wie konnte Berlusconi dann aber ein Land so lange regieren? 3329 Tage war er Ministerpräsident; das ist ein Datum in einem Land, in dem die Überlebensdauer von Regierungen zuvor in Monaten bemessen wurde. Und keiner vor ihm hat eine Legislaturperiode durchgehalten. In seiner Mixtur von Geld, Männlichkeit, Glamour, Erfolg, in seiner Gerissenheit im Umgang mit Gesetzen verkörperte er all das, was viele Italiener gerne sein wollen.

Berlusconi, sagen sie selbst in seinem eigenen Konzern, mag als Manager vielleicht nicht der beste sein; als Verkäufer aber hatte er noch nie seinesgleichen. Ihm, der als junger Mann als Sänger auf einem Kreuzfahrtschiff anheuerte, gelang es auch in der Politik immer, Träume zu verkaufen, blühende Welten vorzuspiegeln. Inszenierung ging über Inhalt.

Mit dem Fernsehen begann alles

Alles begann mit dem Fernsehen. Als 1976 der lokale Privatfunk in Italien startete, kaufte sich Berlusconi lokale Fernsehsender im ganzen Land zusammen. Es war eine Kulturrevolution, ein knallbunter Einbruch in eine dröge, vom verschlafenen Staatsfernsehen geprägte Bilderwelt. Erst Berlusconi holte die US-Serien nach Italien: Dallas, Baywatch, Glücksrad; liebesschmachtende Seifenopern – und Fußball. Als er 1986 auch noch den AC Mailand kaufte und mit teuren Stars aufmotzte, waren er und seine Fernsehwelt ein Gesamtkunstwerk.

Als Berlusconi 1994 seine ersten Wahlen gewann, hatte er seine stärksten Unterstützer bei den größten Fernsehnutzern: bei Hausfrauen und Rentnern. Seither regierte Berlusconi mit dem eigenen und mit dem gleichgeschalteten staatlichen Fernsehen.

Bunga-Bunga Sex-Partys

Von Berlusconis Skandalen redete Italiens Fernsehen nur, wenn wieder einmal die „politisierte Justiz“, dieses „Krebsgeschwür der Staatsanwälte“ dem stets heldenhaften Ministerpräsidenten zu nahe trat. Die „Bunga-Bunga“-Sex-Geschichten zum Beispiel, waren für Berlusconi allesamt „von Porno-Staatsanwälten und von linken Porno-Journalisten erfunden“.

Dass er eine Minderjährige zu Sexpartys einlud und dass er, als die junge Frau verhaftet wurde, eigenhändig zum Telefon griff und bei der Polizei ihre Freilassung anordnen wollte („Sie ist die Nichte von Ägyptens Präsident Mubarak“) – solche Eskapaden tat Berlusconi mit lockeren Sprüchen ab: „Ich kann nichts dafür, dass sich alle in mich verlieben und dass ich auch auf diesem Feld die Nummer eins bin.“ Gleichwohl blieb ihm ein peinlicher Prozess nicht erspart.

Das einzige, wofür sich Berlusconi wirklich interessiert ist er selbst. Er hatte kein Regierungsprogramm, keine sub­stanziellen politischen Ziele. Liberalisieren wollte er das Land seit fast 18 Jahren – jedenfalls der Propaganda nach. Dass zu den dringenden Forderungen der EU die Liberalisierung der italienischen Wirtschaft gehört, zeigt, dass praktisch nichts geschehen ist.

Realitätssinn verloren

„Ich bin es einfach müde“, sagt der 75-Jährige heute, „dass ich meine Linie nicht durchsetzen, nicht die Politik machen kann, die ich will.“ Aussagen wie diese gehören seit Jahren zum Standardrepertoire Berlusconis. Dass die vielfach versprochenen Reformen ausblieben, lag immer an irgendwelchen sperrigen Koalitionspartnern oder am nervigen Parlament: „Als Regierung bringen wir Gesetzesentwürfe ein, so feurig wie ein Araberhengst. Heraus kommt dann immer ein Nilpferd.“

In den letzten Monaten ist Berlusconi zunehmend der Sinn für die Realität abhanden gekommen. Umgeben von Höflingen und Kurtisanen, beruhigt von einem Fernsehen, das keine Krise zeigte, beratungsresistent sogar gegenüber engsten Mitarbeitern musste er erst vom Ausland, von Europa, geweckt werden.