Karlsruhe. Falsche Beurteilung, zu geringe Strafen. Der Bundesgerichtshof hat mehrere Urteile gegen Unteroffiziere aufgehoben, die vor fünf Jahren in den Skandal um die Misshandlung von Rekruten in der Coesfelder Kaserne verwickelt waren. Die Rekruten waren geschlagen, getreten und gefesselt worden.
Im Bundeswehr-Skandal um die Misshandlung von Rekruten in Coesfeld müssen sich immer mehr Unteroffiziere erneut vor Gericht verantworten. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob am Mittwoch drei Freisprüche des Landgerichts Münster auf und folgte damit den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Zwei Feldwebel und ein Stabsunteroffizier müssen nun erneut vor Gericht.
Das Landgericht Münster hatte sie freigesprochen, weil sie nur an den Vorbereitungen der Übung teilgenommen hätten. Die Verhöre mit den gewaltsamen Übergriffen seien ihnen nicht zuzurechnen. Diese Würdigung beanstandete der 1. Strafsenat des BGH als «künstliche Aufspaltung» des Gesamtgeschehens. Es sei den Beteiligten klar gewesen, wie die gesamte Übung ablaufen sollte. Sie hätten den Befehl auch hinterfragen müssen und sich als erfahrene Unteroffiziere nicht darauf stützen dürfen, dass die Übung vom Kompaniechef abgesegnet war.
Geldstrafe gegen Kompaniechef rechtskräftig
Bereits im Januar 2009 hatte der BGH vier Freisprüche des Landgerichts Münster als fehlerhaft beanstandet. Auch diese Unteroffiziere warten auf ihren neuen Prozess. Alle sieben Fälle wurden an eine andere Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Rechtskräftig wurde dagegen am Mittwoch die Geldstrafe von 7.500 Euro für den Kompaniechef der Freiherr-von-Stein-Kaserne. Seine Revision und vier weitere verwarf der 1. Strafsenat als unbegründet. Der Vorsitzende Armin Nack sagte dazu, der Vorgesetzte sei recht gut weggekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen die Geldstrafe aber keine Revision eingelegt. Dann scheidet eine Strafverschärfung seitens des BGH aus. Insgesamt sind in dem Komplex jetzt acht Urteile rechtskräftig.
Rekruten wurde gewaltsam Wasser eingeflößt
Im Jahr 2004 hatte die Ausbildungskompanie in der Freiherr-von-Stein-Kaserne in Coesfeld entgegen den Ausbildungsvorschriften beschlossen, bei völlig unvorbereiteten Rekruten Geiselnahmen und Verhöre vorzutäuschen. Obwohl solche Übungen erst später und nur in der Theorie in die Ausbildung aufgenommen wurden, beschloss man in Coesfeld eine Übung mit schwerer körperlicher und seelischer Gewaltanwendung.
Dabei wurden die mit Kabelbindern gefesselten Bundeswehrsoldaten nicht nur geschlagen und getreten, sondern es wurde ihnen auch mit einer Kübelpumpe gewaltsam Wasser eingeflößt, bis sie keine Luft mehr bekamen. Einige Rekruten erhielten auch Stromstöße.
Viele Rechtsfragen bislang ungeklärt
Für die Übung gab es Vor- und Nachbesprechungen, weiter wurden auch Fotos gemacht. Ein Teil der Ausbilder war bei dem sogenannten Überfallkommando eingesetzt, das die unvorbereiteten Rekruten überwältigte und fesselte. Ein anderer Teil transportierte sie mit verbundenen Augen auf Pritschenwagen ab, wieder andere führten die Verhöre durch, bei denen es auch zu Scheinerschießungen kam.
Das Landgericht Münster hatte den angeklagten Ausbildern immer nur die Taten zugerechnet, an denen sie aktiv beteiligt waren. Eine Mittäterschaft für die übrigen Misshandlungen wurde verneint. Das wurde vom BGH nun wiederholt beanstandet. Der Vorsitzende BGH-Richter Nack gab allerdings zu bedenken, dass das Landgericht Münster vor schwierigen Aufgaben stand. Viele Rechtsfragen zur Soldatenmisshandlung seien bis zu dem Coesfeld-Prozess ungeklärt gewesen. (ap)