Karlsruhe. .

Dürfen Zwangsmaßnahmen gegen psychisch kranke Straftäter von Mitarbeitern eines gemeinnützigen Unternehmens oder nur von Beamten vorgenommen werden? Mit dieser Frage sei ein sensibler Freiheitsbereich betroffen, so das BGH.

Die in den meisten Bundesländern erfolgte Privatisierung des Maßregelvollzugs, in dem psychisch kranke Straftäter untergebracht sind, wird vom Bundesverfassungsgericht skeptisch beurteilt. Das wurde am Dienstag in Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung des Zweiten Senats über einen Fall aus Hessen deutlich.

Konkret geht es darum, ob Zwangsmaßnahmen gegen Patienten im Maßregelvollzug von Mitarbeitern eines gemeinnützigen Unternehmens oder nur von Beamten vorgenommen werden dürfen.

Besonders sensibler Bereich betroffen

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sagte, die durch die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen seien bisher „nur in Ansätzen geklärt“. Im vorliegenden Fall sei ein „besonders sensibler Freiheitsbereich“ betroffen. Es gehe um „die Ausübung unmittelbaren Zwangs gegenüber kranken Menschen, die aufgrund staatlicher Anordnung verwahrt werden und sich als Insassen einer geschlossenen Einrichtung in einer Situation außerordentlich hoher Abhängigkeit befinden“.

Die Karlsruher Richter verhandelten über die Verfassungsbeschwerde eines Maßregelvollzugspatienten, der sich seit mehreren Jahren in der Außenstelle Gießen der Vitos Klinik für Psychiatrie im hessischen Haina befindet. Die Klinik mit insgesamt rund 380 Insassen war 2007 in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt worden, deren Anteile vollständig beim Landeswohlfahrtsverband (LWV) liegen.

Anwalt: Nur Beamte dürfen Zwangsmaßnahmen durchführen

Der straffällige Patient hatte im April 2008 versucht, eine Stationstür zu öffnen und dabei randaliert. Daraufhin wurde er von pflegerischen Mitarbeitern der GmbH gewaltsam in eine Beruhigungszelle eingeschlossen - ohne vorherige Information der Klinikleitung.

Der Anwalt des Mannes hält die Anordnung und Durchführung der Zwangsmaßnahme durch Private für verfassungswidrig, da laut Grundgesetz die Ausübung „hoheitsrechtlicher Befugnisse“ in der Regel Beamten zu übertragen sei. Rechtsanwalt Bernhard Schoer sagte, bei solchen Zwangsmaßnahmen wie einem „Einschluss“ handele es sich „um den Kernbereich des staatlichen hoheitlichen Handelns“. Schroer sagte mit Blick auf die Privatisierung, Kostenargumente dürften keine Rolle spielen, sonst bekomme man amerikanische Verhältnisse im Vollzug.

10.000 Patienten im Maßregelvollzug

Der hessische Staatsminister Michael Boddenberg (CDU) zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass das Land „den richtigen Weg eingeschlagen hat“. Eine „Entstaatlichung des Maßregelvollzugs“ sei gar nicht gewollt. Die forensischen Kliniken seien trotz der privaten Beschäftigten weiterhin in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Auch die Klinikleitung sei im öffentlichen Dienst.

Richter Herbert Landau fragte jedoch, ob Pfleger einer wirtschaftlich orientierten GmbH, die im Auftrag des Staates handelt, überhaupt als „Diener zweier Herren“ eine „optimale Rechtsstaatsgewähr“ erbringen könnten. Da dränge sich doch „eine Spannungslage“ auf.

Nach Angaben von Minister Boddenberg hat die Zahl der Maßregelvollzugspatienten in den vergangenen zehn Jahren „ständig zugenommen“. Ende 2009 seien bundesweit rund 10.000 Patienten im Maßregelvollzug untergebracht gewesen, davon 737 Personen in Hessen. Das Karlsruher Urteil wird für Anfang 2012 erwartet. (dapd)

Blick in die Forensik

Blick in ein Patientenzimmer
Blick in ein Patientenzimmer © Roberto Pfeil
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Blick auf den Innenhof
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Blick die Turnhalle
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Blick in ein Tageszimmer
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Blick in ein Patientenzimmer
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Die Außenmauern der Forensik
Die Außenmauern der Forensik © Volker Hartmann
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