Essen. . Wälder werden gerodet, Nahrung wandert in den Tank. Wissenschaftler und Umweltaktivisten weisen auf die negative Ökobilanz von E10 hin, aber die Bundesregierung will an der Einführung des Biobenzins festhalten.
Viel ist im an Prärie armen Deutschland von den Dakota-Indianern nicht bekannt. Allenfalls eine Lebensweisheit hat es in den Sprachgebrauch der Wirtschaftswelt geschafft: „Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab.“ Meint: Wenn ein Projekt wenig Erfolg verspricht, ist es besser, es aufzugeben.
Bis ins Bundesumweltministerium scheint sich diese Redensart jedoch nicht herumgesprochen zu haben. Denn trotz aller Schwierigkeiten, den Biokraftstoff E10 in Deutschland zu etablieren, hält Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), sekundiert von Parteifreunden, an der Einführung fest. Auch die Forderungen vom Koalitionspartner FDP, aus dem Projekt auszusteigen, ändern daran nichts. Ebenso wenig das Geständnis der Mineralölkonzerne, die drohenden Strafzahlungen wegen Nicht-Erfüllung der vorgeschriebenen E10-Quote über höhere Spritpreise an die Verbraucher weiterzureichen.
Deutschland prescht vor
Bei den Autofahrern ist der mit zehn Prozent Ethanol angereicherte Treibstoff durchgefallen. Die Ablehnung liegt laut Umfragen an deutschen Tankstellen nicht nur in der Angst um die Verträglichkeit für den Motor begründet. Auch die ökologische Sinnhaftigkeit des Biobenzins wird zunehmend infrage gestellt.
Zur Erinnerung: Die Europäische Union hat das Ziel ausgerufen, dass bis 2020 innerhalb ihrer Grenzen der Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehr bei zehn Prozent liegen muss – als Beitrag um den Ausstoß des klimaschädlichen CO2 um 20 Prozent zu verringern. Die Bundesregierung hat diese Richtlinie zum Anlass genommen, den Kraftstoffanbietern zu verordnen, Benzin und Diesel mindestens 6,25 Prozent Bio-Anteil beizumischen. Andernfalls drohen Strafzahlungen.
Andere EU-Länder sind längst nicht soweit. Brüssel hat ihre Mitgliedsstaaten auch gar nicht verpflichtet, die Klima-Ziele nur mit Biosprit zu erreichen. Auch ein höherer Anteil an Elektromobilität sei denkbar.
Riesige Flächen gerodet
Wissenschaftler und Umweltaktivisten weisen seit langem darauf hin, dass aus Getreide und Pflanzen hergestellte Kraftstoffe den Klimawandel eher beschleunigen als verlangsamen. „Es ist zweifelhaft, ob mit Biotreibstoffen maßgeblich CO2 eingespart werden kann“, sagt Martin Hofstetter von Greenpeace. In Brasilien und Indonesien werde Regenwald gerodet, um zusätzliche Anbauflächen für Agrarrohstoffe zu erhalten. Man schätzt, dass die Entwaldung – auf Borneo von Flächen so groß wie das Saarland – und Trockenlegung von Sümpfen für 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Experten wie Prof. Jürgen Schmid vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung haben deshalb empfohlen, die Förderung von Biotreibstoffen einzustellen.
Die Bundesregierung hält dem die hier gültige Nachhaltigkeitsverordnung entgegen. Demnach gelte Biokraftstoff nur dann als nachhaltig hergestellt, wenn er von der Pflanzung, Ernte bis zum Transport 35 Prozent (ab 2017 50 Prozent) weniger Treibhausgase verursacht als fossile Brennstoffe. Zudem dürften dafür keine schützenswerten Flächen umgebrochen oder abgeholzt werden. Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums werde 90 Prozent des Ethanols aus europäischem Getreide und Zuckerrüben hergestellt – weit weg vom Regenwald. Greenpeace nennt das einen Schritt in die richtige Richtung, bezweifelt jedoch, dass die 50 Prozent-Grenze 2017 eingehalten werden könne. Zudem sei es denkbar schwierig zu kontrollieren, ob diese Standards auch international umgesetzt werden.
Nahrung in den Tank
Außerdem wandere Nahrung in den Tank: Laut Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe werden 20 Prozent deutscher Ackerflächen für die Produktion von Biotreibstoff und Biogas genutzt. Das führt aber laut Martin Hofstetter dazu, dass die Ernte – nicht nur, wenn sie aufgrund des Wetters so schlecht ausfällt – nicht mehr ausreicht, um die Nachfrage auf dem nationalen Lebensmittelmarkt zu befriedigen. „Getreide und Ölfrüchte müssen auf dem Weltmarkt zugekauft werden. Das macht nicht nur Deutschland so. Die Folge: international steigende Preise.“ Ein Grund für den Hunger in der Dritten Welt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln betont, dass Biodiesel und -ethanol nur eine Übergangslösung sein könnten. Algen könnten in Zukunft eine lohnende Alternative sein. Sie gedeihen sehr leicht auf Brachland, besetzen also keine wertvollen Ackerflächen und tragen nicht zur Verteuerung der Agrarrohstoffe bei. Zudem: Der Ertrag könnte dreimal so hoch werden wie bei heutigen Biokraftstoffen.
Dakota-Indianer würden die Idee wohl ein lebendiges Pferd nennen, das lange läuft.