Münster. .

Es ist eine krude Mischung aus Realität und Fantasie, die der Attentäter von Norwegen, Anders Behring Breivik, in seinem 1500-Seiten-Pamphlet als eine Art Erklärung für seine Untaten zusammengeschrieben hat. Auf der ersten Seite prangt das rote Kreuz der Tempelritter. Das sagt viel aus über das wirre Weltbild des Attentäters. Eines, das bis weit ins Mittelalter reicht und das vor Grausamkeit trieft.

Gegründet wurde der Tempelorden zu Beginn des 12. Jahrhunderts nach dem ersten Kreuzzug. 200 Jahre später wurde er von dem französischen König Philipp IV. wieder aufgelöst. „Die Templer verbanden Ideale der Mönche wie Gehorsam und Keuschheit mit dem Kampf für den Glauben“, erklärt Gerd Althoff, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster.

Explosive Mischung von Sühne durch Blut

Das Reform-Papsttum habe diese neue Form für den Glauben zu kämpfen, ausdrücklich gutgeheißen“, so Althoff. Denn diese Päpste hätten auch das Verhältnis der Kirche zur Gewalt radikal neu bestimmt. So verantworteten sie die Gewalttätigkeiten der Kreuzritter. „Sie haben den Kreuzfahrern ewiges Seelenheil versprochen. So entstand eine explosive Mischung von Sühne durch Blut. Sie senkte die Hemmschwelle zu töten dramatisch.“

Bei der Eroberung Jerusalems 1099 durch die Kreuzfahrer sei es dann zu einem furchtbaren Gemetzel gekommen. Die Kreuzfahrer hätten die Bevölkerung der Stadt regelrecht abgeschlachtet. Dem Papst hätten sie gemeldet: „Und wenn du wissen willst, was in Jerusalem nach der Eroberung geschehen ist, dann sollst du wissen, dass die Unsrigen im Blut der Sarazenen ritten bis zu den Knien der Pferde.“ Der Papst habe geantwortet: „Der, der die Hände der Kreuzfahrer im Blute der Feinde geweiht hat, möge sie bis zum Ende in überschießender Gnade beschützen.“

Breiviks Motto: Der Zweck heiligt die Mittel

Dem Attentäter Breivik, vermutet jedenfalls der Geschichtsprofessor, sei dies alles so kaum bewusst gewesen. Er habe aber wahrscheinlich die Erlaubnis des Tötens von den Tempelrittern auf sich bezogen, nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

Doch das inzwischen entstandene diffuse, oftmals auch verklärende Bild der Tempelritter bereitet dem Forscher Sorge. Es sei ein Bild, das die brutale und unchristliche Seite der Kreuzzüge ausblende. Im Film oder in historischen Romanen herrsche es vor. Schuld daran, beklagt der Sprecher des Exzellenzclusters „Politik und Religion“ an der Universität Münster, sei auch die eigene Zunft. „Vor allem die Geschichtswissenschaft hat nicht deutlich genug gemacht, dass die Gewalttätigkeit der Kreuzfahrer nicht mit den Idealen des Christentums vereinbar war.“ Ebenso wenig habe dies die Kirche getan. „Das ist auch im Selbstverständnis der Kirche nicht ausreichend verankert worden.“

Die dunkle Seite

Die Folge sei, dass das Kreuzrittertum selbst heute noch verklärt werde. So trügen amerikanische Soldaten im Irak einen Sticker am Arm, auf dem ein Kreuzfahrer im damals typischen Kettenhemd zu sehen ist. „Darunter steht: pork eating crusader (Schweinefleisch essender Kreuzfahrer)“, erklärt Althoff. Muslimen ist es verboten, Schweinefleisch zu essen. Doch anders als Christen hätten sie die dunkle Seite der Kreuzritter nicht vergessen.

„Bei ihnen ist gerade das Massaker von Jerusalem im Bewusstsein noch sehr präsent.“ Und wenn der Attentäter von Norwegen das Kreuz der Tempelritter wieder aufnehme, „dann kann man sich die Wirkung bei Muslimen vorstellen“. Der Wissenschaftler appelliert daher sowohl an seine Zunft wie auch an die Kirche, die Gewalt der Kreuzzüge nicht einfach zu verdrängen. „Man sollte den brutalen Terrorakt daher zum Anlass nehmen, die angedeuteten Zusammenhänge neu zu durchdenken.“