Dadaab. .
Ein Land leert sich aus. Nach Angaben der Vereinten Nationen spielt sich am Horn von Afrika die schlimmste humanitäre Katastrophe der Gegenwart ab: Erstmals seit der äthiopischen Tragödie vor einem Vierteljahrhundert musste der Staatenbund wieder eine Hungersnot erklären.
Zwölf Millionen Menschen sind nach UN-Angaben von dem Desaster betroffen: Eine halbe Million Kinder sollen vom Tod durch Verhungern bedroht sein. Im Mittelpunkt der Katastrophe steht dieses Mal das Bürgerkriegsland Somalia, das von der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren heimgesucht wird.
Drei Jahre kein Regen
Drei Jahre lang haben Kleinbauer Osman und sein Freund Hassan keinen richtigen Regen mehr erlebt. Schließlich waren sämtliche von Osmans 50 Ziegen und zehn Rindern verendet. Dem 28-Jährigen blieb nichts mehr anderes übrig, als mit seiner Familie das Weite zu suchen. Dabei haben er und sein Freund Hassan noch einmal Glück gehabt. Ihre Flucht verlief fast ohne Zwischenfälle. Osmans Frau und seine vier Kinder konnten sogar eine Mitfahrgelegenheit ergattern – wenn alles gut ging, wird er sie im Flüchtlingslager wieder finden.
Salma Mahmod war solches Glück nicht zuteil. Die 30-jährige Witwe, die zusammengesunken in der Schlange auf ihre Registrierung wartet, verlor auf der Flucht drei ihrer vier Kinder. Jeden Morgen sammeln die Ärzte ohne Grenzen vor dem Empfangszelt im Lager Dagahaley jene Menschen auf, die vor Schwäche nicht mehr auf die Beine kommen. Abdullahi Mohammed, dessen Familie von Banditen auf der Flucht bis auf die Kleider ausgeraubt wurde, können auch die Ärzte nicht helfen.
Wie viele Flüchtlinge den oft bis zu drei Wochen dauernden Exodus nicht überlebten, wissen weder die UN noch private Hilfsorganisationen zu sagen. Denn die Landstriche, durch die die Fliehenden ziehen, sind wegen der Präsenz der al Schabab („die Jungs“) genannten radikal-islamistischen Milizionäre für Ausländer tabu. Auch Osman weiß nicht, ob die beiden Frauen, die ihn erschöpft am Wegrand kauernd um eine Mitfahrgelegenheit anflehten, noch am Leben sind. Vor wenigen Tagen revidierten die Gotteskämpfer zunächst ihre Strategie; riefen selbst christliche Hilfsorganisationen auf, ins Land zu kommen. Obwohl sie diese Zugeständnisse kurz darauf wieder zurücknahmen, erklärten UN-Hilfswerke, ihre Hilfseinsätze fortzusetzen. 11 000 Menschen, schätzen die Vereinten Nationen, sollen in den vergangenen 45 Tagen in Somalia verhungert sein.
Osman glaubt, mit der Ankunft in Kenia das Schlimmste hinter sich zu haben. Doch diese Hoffnung wird er bald zu überdenken haben. Denn das UN-Flüchtlingswerk ist mit der Registrierung der Neuankömmlinge vollkommen überfordert. Täglich werden die Wartezeiten der auf ihre Registrierung wartenden Hungerflüchtlinge länger. Auch sind die drei nur wenige Kilometer auseinander gelegenen Lager des Flüchtlingszentrums inzwischen völlig überfüllt. Schon vegetieren weit mehr Menschen in den Wüsten-Iglus außerhalb der Camps vor sich hin, als in den zu kleinen Städtchen herangewachsenen Quartieren leben, in denen Somalier bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten Zuflucht vor dem Krieg suchen.
Womöglich ist die Hungersnot eine der am besten vorhergesagten Katastrophen dieser Welt. Bereits vor Monaten machten Experten auf die bevorstehende Dürre aufmerksam. Eine Konsequenz der regelmäßig auftretenden Abkühlung des Pazifiks, dem sogenannten La-Niña-Effekt.
Hilfsbereitschaft gering
Zusammen mit dem somalischen Bürgerkrieg versprach die Trockenheit eine katastrophale Mischung abzugeben – und trotzdem blieben vorbeugende Maßnahmen aus. „Keiner zahlt für eine nur angekündigte Katastrophe“, bringt Johann van der Kamp von der Deutschen Welthungerhilfe den Zynismus auf den Punkt: „Das Desaster muss schon perfekt sein, damit die Regierungen in die Tasche greifen.“ Für Zigtausende zu spät.
Allerdings scheint die Hilfsbereitschaft dieses Mal nicht einmal nach Beginn der Katastrophe auf Touren zu kommen. Staatliche Hochverschuldung und Folgen der Weltwirtschaftskrise hätten die Freizügigkeit in den Geberländern stark eingeschränkt, klagt van der Kamp: „Und dabei wird sich die Lage in Afrika in den nächsten Monaten noch rapide verschlechtern.“