Washington. . Vor 250 Gästen zeichnete Präsident Barack Obama Angela Merkel mit der Freiheitsmedaille aus. Die Kanzlerin war gerührt. Das Politische liegt womöglich im Persönlichen: Man kann nicht länger behaupten, Merkel und Obama hätten keinen Draht zueinander

Ihm hätte man eine Regelverletzung schon zugetraut. Thomas Gottschalk wäre sie seinem Ruf geradezu schuldig gewesen. Aber die modische Extravaganz, die er sich am Ende herausnimmt, ist harmlos. Zum Smoking trägt der TV-Star schwarze Stiefel.

Die Show gehört beim Staatsbankett im Weißen Haus einem anderen Zeremonienmeister, Barack Obama, und vor allem Angela Merkel. Ihr überreicht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die Freiheitsmedaille. Es ist die höchste Auszeichnung für Zivilisten, die der Präsident vergeben kann, und zugleich der pompöse Abschluss einer Reise bar harter Nachrichten.

Das Politische liegt womöglich im Persönlichen: Man kann nicht länger behaupten, Merkel und Obama hätten keinen Draht zueinander oder dass er allein auf die aufstrebenden Mächte in Asien schaue, auf China, Indien; Merkel hat einen Zugang zu ihm jenseits von Vasallentreue gefunden. Sie können sich streiten und trotzdem respektieren. Deshalb ist das Bankett mehr als ein gesellschaftliches Ereignis. Erst drei Präsidenten wurden von Obama derart geehrt. Wohlgemerkt: Präsidenten, und kein Europäer war darunter.

Die Kanzlerin: gerührt

Die Medaille ist ein fünfzackiger goldener Stern auf einem Trägerkissen. Als Obama ihr das Etui überreicht, wirkt Merkel gerührt und in sich gekehrt, ihre Verlegenheit überträgt sich ein paar Sekunden lang auf das Publikum, bis Obama ruft: „Sie können jetzt applaudieren.“

Alles ist choreografiert und fest reglementiert. Der Einladung mit militärischen Ehren etwa entnehmen die Amerikaner, dass sie beim Abspielen ihrer Hymne die rechte Hand auf die linke Brust legen sollen. Fünf Ehrengarden präsentieren das Gewehr, Heer, Luftwaffe, Navy, Marines und die Küstenwache.

Die Kleiderordnung für das Staatsbankett ist eindeutig: Smoking für die Herren, langes Abendkleid für die Damen. Wo immer amerikanische Politik glamourös wirkt, muss man nur wenig graben, um alsbald auf den Namen John F. Kennedy zu stoßen. Er war es nämlich, der die Begrüßungszeremonie für Staatsgäste vom Flughafen ins Weiße Haus verlegt und die Freiheitsmedaille erneuert hat.

Keine Kleider-Experimente

Experimente erlaubte sich die Kanzlerin einst als Physikerin im Labor. In der Politik gilt sie als risikoscheu, in der Mode ist das nicht anders. Sie erscheint in einem schwarzen Kleid, schlicht, schnörkellos. Da liegt sie modisch auf der sicheren Seite. Die Visagistin, die sie auf Reisen begleitet, hat ganze Arbeit geleistet. Merkel wirkt frisch und aufgeräumt, obwohl sie vom Jetlag hundemüde sein müsste. Es ist freilich Michelle Obama, die im figurbetonten, champagnerfarbenen Kleid alle Blicke auf sich zieht.

Auf das rigorose Minimum hat Joachim Sauer seine gesellschaftlichen Pflichten reduziert. Am Morgen zur Begrüßung hatte Merkels Ehemann gefehlt. Zwei Stunden vor dem Bankett war er erst in der US-Hauptstadt gelandet. Der Chemiker kam direkt von einem Vortrag in Detroit, er fuhr zum Blair House, dem Gästehaus der US-Regierung, zog sich um, und weiter ging es zum Bankett; der Herr Professor brachte es hinter sich.

Gottschalk und Klinsmann feiern mit

250 Gäste hatte Obama zur Zeremonie im Rosengarten des Weißen Hauses eingeladen, überwiegend Amerikaner. Gottschalk wird am vorletzten Tisch platziert, übrigens auch Jürgen Klinsmann, der frühere Fußballnationaltrainer, beide sind auf Wunsch von Merkel dabei. Klinsmann ist auch der einzige, der keinen Smoking, sondern nur einen schwarzen Anzug trägt. Obama hatte an Dirk Nowitzki gedacht. Das ist womöglich der einzige Deutsche, der wirklich einem Amerikaner etwas sagt. Aber Nowitzki steckt mitten in den „Finals“, im Endspiel um die Baskettball-Meisterschaft.

Begrüßung mit militärischen Ehren, die Freiheitsmedaille, ein Staatsbankett mit hohem Glamourfaktor, selbst ein paar deutsche Worte hat sich der US-Präsident zurechtgelegt, „herzlich willkommen“, „guten Abend“ oder auch „zum Wohl!“ – Obama hätte es sich einfacher und alles eine Nummer kleiner machen können. Es spricht viel dafür, dass er seine „Freundin Angela“ tatsächlich schätzt.

Als Gastgeber ist er makellos. Kein falsches oder missverständliches Wort geht ihm über die Lippen. In der Pressekonferenz war der Präsident gefragt worden, ob die Auszeichnung mit einer Verpflichtung verbunden sei, mit einer Erwartung. Das war, wenn auch verklausuliert, die Frage, ob Merkel sich den Preis erst nachträglich verdienen muss. Obama dreht seine Antwort ins Positive: „She is not finished, yet.“ Wörtlich bedeutet es, dass die Kanzlerin nicht zu Ende ist; verstehen muss man es wohl so, dass man sie nicht abschreiben darf.

Ehrung für die Freiheitskämpferin

In seiner Laudatio wird sie zur Freiheitskämpferin der DDR stilisiert. Das war Merkel nicht, so kann es allenfalls aus der Distanz wirken. Wahr ist aber, dass sie den amerikanischsten aller Träume verwirklicht hat: den Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär. Auf ihr Leben übertragen: von der kleinen Pastorentochter zur ersten deutschen Kanzlerin, von der Uckermark bis in den Rosengarten des Weißen Hauses. Mehr Aufstieg geht nicht. Was man heute noch nicht zu träumen wage, „kann morgen schon Realität sein“, erzählt Merkel. Sie ist der lebende Beweis.