Essen. . Am 1. Juli startet der Bundesfreiwilligendienst, um den durch das Aussetzen der Wehrpflicht wegfallenden Zivildienst zu ersetzen. Soziale Träger warten auf Bewerber und fürchten Männermangel. Bisher ist das Interesse überschaubar.

Die letzten Zivis sagen langsam Tschüss, die „Bufdis“ sollen sie ersetzen. 35 000 Freiwillige möchte das Bundesfamilienministerium bis 2012 für gemeinnützige Arbeit im Bundesfreiwilligendienst (BFD) begeistert haben. Noch ist der Andrang der Interessenten jedoch eher übersichtlich.

Zu neu, zu unbekannt zu wenig beworben. So bewerten viele Träger in der Sozialarbeit in einer WAZ-Umfrage den BFD. Sie sind zum Teil verunsichert, wenn sie auf das Da­tum 1. Juli blicken und nicht wissen, mit welchem Personal sie planen können. Der Landesverband Nordrhein des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) beschäftigte bis zuletzt 850 Zivildienstleistende. Ein Viertel davon hat seinen Dienst bis Ende des Jahres freiwillig verlängert. Die einzige Größe, mit der aktuell gerechnet werden kann. „Wir haben keine Zahlen über die neuen Freiwilligen. Der Ansturm hält sich in Grenzen“, sagt Stefanie Schroer, Referentin für Freiwilligendienste beim DRK Nordrhein. Sie habe jedoch Hoffnung, dass die Mitte Mai gestartete Informationskampagne des Familienministeriums immer mehr Menschen für dieses Thema anspricht.

Hoher Informationsbedarf

Die lief bis dato jedoch nur schleppend an. Auch bei den Trägern selbst. „Vieles war unklar. Wir haben erst seit ein paar Tagen unterschriftsreife Verträge, die wir den Interessenten anbieten können. Spüren aber nicht, dass die Menschen dafür schlangestehen“, erzählt Michael Brausch, bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe zuständig für Freiwilligendienste. Die Flaute könnte auch daher kommen, dass die Stellenbörse im Internet www.bundesfreiwilligendienst.de nicht von Beginn der Kampagne an funktionierte.

Bei der Lebenshilfe in Duisburg besteht noch sehr viel Informationsbedarf. Die 16 Zivi-Plätze fallen nun weg. Einige werden durch Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) ersetzt, jedoch nicht alle, berichtet Dörte Dwenger-Illgenstein: „Uns werden vor allem Männer fehlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich viele Männer für Arbeit im sozialen Dienst freiwillig melden werden.“

330 Euro Taschengeld

Das befürchtet auch der Soziologe Prof. Marcel Erlinghagen. Er forscht an der Uni Duisburg-Essen zum Thema bürgerschaftliches Engagement: „Als Ersatz für den Zivildienst wird der BFD scheitern. Die Leute gehen dahin, wo es ihnen Spaß macht und nicht dorthin, wo sie gebraucht werden.“ Seiner Meinung nach habe der Staat mit der Abschaffung des Zivildienstes ein wichtiges Steuerungsinstrument für den sozialen Sektor aus der Hand gegeben.

Er sieht zudem die Gefahr einer Selektion. „Angesichts des Taschengeldes von 330 Euro werden sich wohl eher die Menschen melden, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, um wenigstens für eine gewisse Zeit ein Einkommen zu haben.“ Am Ende werde ein Niedriglohnsektor geschaffen, ähnlich wie bei den Ein-Euro-Jobs.

Ministerium wehrt sich

Das Bundesfamilienministerium wehrt sich gegen die Kritik: „Eine solche Entwicklung ist weder beim Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahr noch bei anderen Freiwilligendiensten eingetreten“, sagte eine Sprecherin dieser Zeitung. Jeder einzelne Platz im Bundesfreiwilligendienst werde zudem durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben darauf überprüft, ob ein regulärer Arbeitsplatz durch Freiwillige ersetzt wird.

Auch wenn das Ministerium aktuell keine Zahlen über Interessenten liefern kann, ist man überzeugt, die Zielgröße 35 000 im Jahr 2012 erreicht zu haben: „Von den Trägern des Freiwilligen Sozialen Jahres wissen wir, dass es in den vergangenen Jahren doppelt so viele Bewerber wie Stellen gab – rund 70 000 Bewerbungen. Das stimmt uns zuversichtlich.“