Berlin. .
Sie sind irritiert. Wie in NRW reagiert die SPD auch in anderen Ländern gereizt auf die Urwahl-Idee ihrer Führung. Dass Nicht-Mitglieder über SPD-Kandidaten abstimmen sollen, hält man in Hessen „für den dezidiert falschen Weg“. In Kiel mahnt Landeschef Ralf Stegner, bestimmte Wahlen müssten den „Mitgliedern vorbehalten sein“.
Im Berliner Willy-Brandt-Haus hält man Bürgernähe für notwendig. „Wir sind zu sehr closed shop“, hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel schon vor einem Jahr erkannt. Nun zieht er daraus Konsequenzen. Symbolhaft dafür steht der Tag der offenen Tür am Samstag in Berlin. Angst vor Zugluft hat Gabriel nicht. Wie weit er und Generalsekretärin Andrea Nahles gehen würden, ist klar: Befragungen zu Sachfragen. Urwahl der Kandidaten. Verkleinerung der Gremien, auch des 45-köpfigen Vorstands. 15 Prozent der Plätze in den Gremien sollen Bürger mit Migrationshintergrund besetzen.
„Kommt zu uns, Genossen“
Und: Werben um Leute aus der Linkspartei. „Da kann ich nur sagen: Kommt zu uns, Genossen, herzlich willkommen in der SPD“, sagte Gabriel im „Stern“. „Wir machen keine Ablöseverhandlungen wie im Fußball.“ Jeder könne aber in der SPD etwas werden.
Kein Gag. Es ist die Korrektur einer historischen Entwicklung. Als die SPD in der früheren DDR gegründet wurde, überwogen die Abwehrreflexe. Mit dem Linken-Politiker Dietmar Bartsch gab Gabriel jetzt gemeinsam ein Interview. Auch ein Signal.
Neuer Reformeifer
Am Montag wollen Nahles und Gabriel im SPD-Präsidium die Reformen vorstellen, danach durch die Verbände touren. Man muss ein Jahr zurückgehen, um den Reformeifer zu verstehen. Damals hatte ein Institut die SPD-Ortsvereine befragt, 4144 Antworten kamen zurück. Das Echo: ernüchternd. 53 Prozent luden höchstens zwei Mal im Jahr zu Veranstaltungen ein. 42 Prozent gaben an, nicht gemeinsam mit Sportvereinen zu arbeiten. Auf die Frage, ob sie gezielt regelmäßig Aktionen zur Gewinnung neuer Mitglieder durchführten, kreuzten 78 Prozent an: „Trifft nicht zu.“
Vorsorglich hatte man nur Funktionären und wenigen Journalisten die Ergebnisse vorgestellt. Gabriel wollte nicht tatenlos zusehen, wie aus der SPD eine Volkspartei a. D. wird. Viele in Berlin pflichten ihm bei. „Die SPD kann nur gewinnen, wenn sie rausgeht aus den Hinterzimmern“, meint SPD-Fraktionsmanager Thomas Oppermann. Von der Urwahl-Idee sei er „ziemlich begeistert“.
Leichter gesagt als getan, denn: Werden die Gremien kleiner, wehren sich die Funktionäre. Gegen die Migrantenquote gab es im Präsidium Bedenken: Hat man so viele Bewerber? Es gibt etwa 50 000 politische Mandate, die meisten auf kommunaler Ebene. Jedes Mal einen Bewerber aufzustellen, fällt der SPD immer schwerer, in den Ost-Verbänden zumal. Soll eine Urwahl Sinn machen, muss man eine Wahl haben: zwei Bewerber. Mindestens. Da stößt auch eine Partei mit 500 000 Mitgliedern an ihre Grenzen.
Die CDU stichelt
Dass die Führung es vormacht und ihren Kanzlerkandidaten in einer Urwahl bestimmen lässt, ist fraglich. Tritt Gabriel an, käme jede Gegenkandidatur einem Putschversuch gleich. Auch rechnet keiner damit, dass sich Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier auf einen Schaukampf einlassen würden.
Die Konkurrenz ist hellhörig geworden. Bei einer Urwahl könnten CDU-Sympathisanten über den Herausforderer von Angela Merkel mitentscheiden. „Da müssen wir uns überlegen“, stichelt CDU-Fraktionsmanager Peter Altmaier, „welche Empfehlung wir aussprechen.“