Essen.. “Osamas Leiche“ tauchte kurz als Foto auf – und war eine Fälschung. Dabei hätten die USA das größte Interesse daran, dass ein Bild des toten bin Laden um die Welt geht.
Als die Amerikaner Saddam Hussein aus dem Erdloch gezogen hatten, in dem sich der Diktator versteckt hatte, sendeten sie die Bilder von einem alten Mann mit Vollbart und wirrem Haar in die Welt, und wie ihm ein Arzt die Mundhöhle ausleuchtete. Als die Amerikaner in Bagdad einmarschiert waren, markierte der Abriss des Saddam-Denkmals den militärischen Triumph; doch erst die Obdachlosen-Bilder von Saddam ließen den Mythos des Diktators als Überlebenskünstler in Kriegen und Machtkämpfen zerbröseln. Vor allem von Irak bis Marokko.
Gerade in der arabischen Welt, die Al Dschasira, Al Arabia und Internet längst weit mehr glaubt als jeder offiziellen Regierungs-Verlautbarung, sind Bilder dieser Art noch wichtiger als irgendwo sonst auf dem durchmedialisierten Globus. Den Krieg der Bilder aber hatte bislang Osama bin Laden gewonnen: Die Foto-Ikonografie des 21. Jahrhunderts ist zutiefst geprägt von den Augenblicken, in denen die von bin Laden kommandierten Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers rasen.
Bin Laden aber ergänzte diese fast schon ikonografische Handschrift seiner Macht ein ums andere Mal, wenn er wieder eine Videobotschaft in die Welt sandte. Was er da sagte, war egal, die Botschaft der Bilder war die einer herausgestreckten Zunge, ein digitales „Ihr Versager kriegt mich ja doch nicht!“ Das einzige Mittel gegen diese Art von bösem Spuk wäre ein Foto vom toten bin Laden.
Obama sah dem Einsatz zu
Prompt kursierte nur wenige Stunden, nachdem US-Präsident Obama den Tod des meistgesuchten Mannes der Welt verkündete, ein gruseliges Bild von der angeblichen Leiche Osama bin Ladens in Fernseh- und Online-Medien: ein zerschundenes Gesicht, das so viel Ähnlichkeit mit dem El-Kaida-Chef aufwies, dass nicht nur der pakistanische Sender Express TV, sondern auch andere Medien glaubten, es handele sich um ein authentisches Foto.
Dasselbe digitale Zeitalter aber, das es leichter denn je macht, Bilder zu fälschen, hat – durch das Internet – dafür gesorgt, dass das angebliche Foto vom Leichnam bin Ladens als Fälschung enttarnt wurde, die schon seit einiger Zeit im Internet kursiert. „Spiegel Online“ demonstrierte sogar, wie ein bin-Laden-Porträt von 1998 und ein Leichenfoto pixelweise zu der Fälschung zusammengemischt wurden.
Iwo Jima, Vietnam . . .
Im 20. und 21. Jahrhundert, in der bilderreichsten Epoche aller Zeiten, ist kein Krieg gewonnen, solange nicht auch der Krieg um die Bilder gewonnen ist. Das war vielleicht auch früher schon so, wenn Albrecht Altdorfer Schlachten auf die Leinwand warf, wenn Jacques Louis David Napoleon beim Überqueren der Alpen verherrlichte oder Goya seine Opfer zeigte. Aber die Menge der Bilder war weit geringer und der Krieg darum leichter zu gewinnen.
Selbst am Ende des Zweiten Weltkriegs reichte es noch, auf Iwo Jima die Szene nachzustellen, in der Marines das Sternenbanner aufrichten, um den Sieg der Amerikaner gegen die Japaner im Zweiten Weltkrieg abzurunden. Im Ausnahmefall Vietnam war es umgekehrt: Nicht zuletzt die anklagende Aufnahme des vor Napalmbomben fliehenden Mädchens Phan Thi Kim Phúc ließ den Rückhalt der US-Truppen in der Heimat dahinschmelzen. Seither achten die Militärs sorgfältig darauf, die Kontrolle über den Krieg der Bilder nicht mehr zu verlieren. Die letzte Niederlage hieß Abu Ghreib. Umso erstaunlicher, dass die Amerikaner noch zögern, die offenbar existierenden Fotos von Osama bin Ladens Leiche zu veröffentlichen. Wahrscheinlich die neueste taktische Variante im Krieg der Bilder.