Hamburg. . Die NRW-Landesregierung vermisst Medienberichten zufolge insgesamt 2285 Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich. Sie seien „allem Anschein nach“ im Bergwerk Asse gelandet. Unterdessen geht die Debatte um Atom- und Reaktorsicherheit in Deutschland weiter.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung vermisst laut „Spiegel“ insgesamt 2285 Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich. Das geht aus den Antworten auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, wie das Nachrichtenmagazin vorab berichtete.
Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) geht demnach davon aus, dass Brennelementkugeln „allem Anschein nach“ im niedersächsischen Forschungsbergwerk Asse gelandet seien. In dem Salzbergwerk durften allerdings nur schwach und mittelradioaktive Abfälle gelagert werden, keine Brennelemente.
Der Atom-Experte der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Hans Christian Markert, sprach von einem erschreckenden Beispiel dafür, „wie lax mit radioaktiven Stoffen hier umgegangen wurde“. Nach seinen Berechnungen stecken in den verschwundenen Kugeln etwa 2,2 Kilogramm Uran 235 und 23 Kilogramm Thorium 232. Falls die Brennelemente benutzt worden seien, käme noch hochgefährliches Plutonium dazu, sagte er dem Magazin.
Röttgen: Im Atomstreit nationalen Konsens mit Opposition suchen
Die Bundesregierung strebt langfristig einen nationalen Energiekonsens an. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte in der „Bild am Sonntag“ Gespräche mit Vertretern von Kirchen, Umweltverbänden und Gewerkschaften an. Im Juni wolle sie zudem auch auf die im Bundestag vertretenen Fraktionen zugehen und mit ihnen verhandeln. Den von SPD-Chef Sigmar Gabriel geforderten „Runden Tisch“ zur Atomkraft solle es aber nicht geben, berichtete die Zeitung am Samstag vorab unter Berufung auf die Umgebung Merkels.
„Wir haben jetzt die Chance, binnen weniger Monate den Atomkampf zu beenden, der die Republik über Jahrzehnte gespalten hat“, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen dem „Spiegel“ in einem vorab veröffentlichten Interview. Die schwarz-gelbe Koalition sollte es schaffen, einen gemeinsamen Kurs mit SPD und Grünen zu finden, „im besten Fall sogar einen nationalen Energiekonsens“. Als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan hat die Bundesregierung ein dreimonatiges AKW-Moratorium verhängt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die sieben abgeschalteten ältesten Atomkraftwerke nicht wieder ans Netz gehen.
Röttgen kündigte an, auch weltweit für den neuen atomkritischen Kurs der Regierung einzutreten. „Wir werden unsere Haltung gegenüber anderen Länden aktiv vertreten.“
EU-Energiekommissar Günther Oettinger äußerte ebenfalls im „Spiegel“ die Erwartung, dass wegen des europaweiten Stresstests weitere AKW vom Netz genommen werden müssen. Es sei unwahrscheinlich, dass alle 143 in der Europäischen Union bestehenden Atomkraftwerke den Test bestehen. „Wenn wir die höchsten Sicherheitsstandards anlegen, kann kein Land von vornherein ausschließen, dass es eventuell seine Kernkraftwerke nachrüsten oder abschalten muss“, sagte Oettinger.
Von der Leyen: CDU hat Dringlichkeit der Energiewende verschlafen
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, räumt Versäumnisse ihrer Partei in der Atompolitik ein. Auf die Frage, was die CDU in dieser Hinsicht verschlafen habe, sagte von der Leyen der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstagausgabe) laut Vorabbericht: „Die volle Dringlichkeit der notwendigen Energiewende.“
Zugleich stellte sich von der Leyen auf die Seite von Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der als einer der ersten in der Union auf einen beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie gedrängt hatte. „Ich werde ihn voll und ganz unterstützen“, sagte von der Leyen, „weil er mich mit seiner Expertise überzeugt.“ Röttgen habe 2010 frühzeitig gemahnt. „Er war als Kenner der Materie vielen in der CDU voraus, die - wie ich auch - eine Katastrophe wie in Japan nicht für möglich gehalten hätten“, sagte sie. Umso mehr habe Röttgen jetzt die Glaubwürdigkeit, die Energiewende umzusetzen.
Von der Leyen äußerte Verständnis dafür, dass viele Bürger die Wende in der Atompolitik der Bundesregierung nur als taktisches Manöver vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz empfanden. „Wegen der zeitlichen Nähe kann ich das nachvollziehen“, sagte sie. Trotzdem habe die Koalition auf die neuen Erkenntnisse reagieren müssen. „Das Undenkbare ist möglich geworden: der GAU in einem Land der Hochtechnologie“, sagte sie. Nun werde man mit Augenmaß den weiteren Kurs entwickeln.
Merkel: Fukushima hat meine Haltung zur Kernkraft verändert
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) strebt einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens für die von ihr angekündigte Energiewende an. „Die Bundesregierung setzt alles daran, diesen Weg zusammen mit einer breiten Mehrheit der Bürger zu gehen“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Sie selbst wolle Anfang Mai mit Vertretern von Kirchen, Umweltgruppen und Gewerkschaften über die Energiewende diskutieren.
Im Juni wolle die Kanzlerin auch auf die im Bundestag vertretenen Fraktionen zugehen und mit ihnen diskutieren, berichtete die Zeitung. Den von SPD-Chef Sigmar Gabriel geforderten Runden Tisch zur Atomkraft solle es aber nicht geben, hieß es den Angaben zufolge in Merkels Umgebung.
Den Weiterbetrieb der jetzt für drei Monate vom Netz genommenen acht Atommeiler macht Merkel von der laufenden Sicherheitsüberprüfung abhängig. „Sicherheit geht vor. Wie es nach dem Moratorium mit den AKW in Deutschland weitergeht, das entscheiden allein die notwendigen Konsequenzen aus den Sicherheitsüberprüfungen“, sagte Merkel. „Die Katastrophe von Fukushima, deren ganzes Ausmaß wir ja immer noch nicht kennen, hat auch meine persönliche Haltung zur Kernkraft und ihren Risiken verändert.“ (afp/Reuters/dapd)