Stuttgart. . Im Ländle liegt die Stimmung zwischen Bibbern und Bangen. Rot-Grün liegt in den Umfragen vorn. Ein Problem für Amtsinhaber Stefan Mappus, der sich schwer tut, seine Politik glaubhaft zu verkaufen. Die Grünen dagegen sind in Bestform.
Erst mal einen Schnaps. Stefan Mappus lässt sich nicht zweimal bitten. „Das wird gleich meine beste Rede“, scherzt Baden-Württembergs Ministerpräsident mit dem Schömberger Trachtenverein, der mit Hefezopf und Hochprozentigem lockt. Dann bläst der Musikverein den Erzherzog-Albrecht-Marsch und 400 Anhänger feiern Mappus.
Ach ja, in der rappelvollen Kurhalle des Schwarzwald-Idylls Schömberg ist die CDU-Welt noch heile. Draußen nicht. Dort stehen 20 Mappus-Gegner und skandieren. Welches Lager am Sonntag bei den Wahlen im Ländle jubelt, ist offen. Grün-Rot liegt bei 47, die Linke bei vier und Schwarz-Gelb bei 44 Prozent. Nach 58 Regierungsjahren droht der CDU die Opposition, der FDP der Plumps aus dem Parlament und dem konservativen Wähler der politische „Super-Mega-Gau“: Eine grün-rote Regierung. Oder Grün-Rot-Dunkelrot.
Für Mappus kam es seit seinem Amtsantritt 2010 knüppeldick. Erst lehnte er den Kauf der Steuersünder-CD ab. Es folgten Wasserwerfer gegen S21-Gegner, Guttenberg-Rücktritt, Rückkauf von EnBW-Anteilen, Atomunfall in Japan. Ein Wahlkampf-Desaster. Mappus versucht seitdem den Spagat zwischen seiner einstigen Pro-Atom-Haltung, Moratoriums-Lob und Versorgungssicherheit. Nun erklärt er den Schwenk mit dem Unglück in Japan, das so keiner für möglich gehalten hätte.
Mappus’ Linie: Weiter so!
Als Herrscher in der Villa Reitzenstein hat Mappus wenig bewegen können. Also predigt er in Stuttgart-Riedenberg vor gut 100 Senioren die schwäbisch-badische Erfolgshistorie: niedrigste Arbeitslosigkeit, höchstes Wirtschaftswachstum, mehrgliedriges Schulsystem, die kreativsten Menschen – selbst die Autotüftler Daimler und Benz leisten posthum Wahlkampfhilfe.
Mappus’ Linie lautet: Weiter so! Klare Kante bezieht er zum Gegner. Rente mit 67, S21, Hartz IV - die SPD spricht hier mal so, mal so. Die Grünen hält er für verlässlich: „Egal, was wir machen, sie sagen immer nein.“ Dann wettert Mappus gegen den Länderfinanzausgleich.
Reicht das für den Wahlsieg? Die Senioren sind skeptisch. „Ich bin nicht sicher“, meint Heinz Müller. „Wenn es reicht, wird es sehr, sehr knapp“, glaubt Martin Pfeiffer. Für einen Sieg braucht es die FDP. Die Liberalen müssen das 3,8-Prozent-Wahldebakel in Sachsen-Anhalt verkraften. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke beteuert nun, dass dies keine Folgen für die Wahl hat. Auch nicht die Atomfrage. Die FDP setzt auf die gute wirtschaftliche Entwicklung.
Kretschmann - der Anti-Mappus
Bei Mappus bezweifelt niemand, dass er mit Leib und Seele Ministerpräsident ist. Anders bei Winfried Kretschmann. Landauf, landab muss der Grünen-Spitzenkandidat versichern, dass er nicht Statthalter für Parteichef Cem Özdemir spielt, sondern wirklich Landesvater werden will. Seit Fukushima stehen seine Chancen wieder gut - und der 62-Jährige füllt die Hallen.
Kretschmann inszeniert sich als Anti-Mappus. Er wirkt behäbig, meidet Polemik, verspricht einen bedächtigen Politikstil, will den Volksentscheid zu Stuttgart 21 und mit Bildung punkten. „Des isch des Megathema“, näselt der Ex-Gymnasiallehrer. Die Grünen wollen neue Schulmodelle fördern. Ein heißes Eisen. Die Zukunft des Gymnasiums ist vielen Schwaben fast so heilig wie das Sparbuch. Permanent versichert Kretschmann, dass er das Bildungssystem nicht in Grund und Boden regiert: „Wir wollen nicht an Ihren Kindern herumexperimentieren. Alles, was wir wollen, wird in anderen Ländern erfolgreich gemacht.“
Witze vom Manuskript
Es gibt noch mehr Vorbehalte. Ist die Ökopartei die Dagegen-Partei? Kretschmann findet den Vorwurf „a bitzle domm“. Wer für den Kopfbahnhof in Stuttgart sei, müsse gegen den unterirdischen Neubau sein. „Des isch des Gesetz der Logik“, doziert Kretschmann, der eine leichte Wechselstimmung spürt und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid schätzt.
Der 37-jährige Sozialdemokrat hat es schwerer. Die Grünen liegen seit Fukushima wieder vor der SPD, und Schmid droht die Kellnerrolle unter Grün-Rot. Er ist Finanzexperte, aber kein Volkstribun. Witze liest er vom Manuskript ab. „Ihr kennt mich alle als begnadeten Rhetoriker“, beginnt der Fraktionschef seine Rede vor hundert Anhängern in Schwetzingen. Er redet über bessere Bildung, erneuerbare Energien, attackiert Mappus als sprunghaften Politiker: „Auch die SPD hatte schlechte Umfragen. Ich hatte die Nerven behalten, wir haben Kurs gehalten.“ Die Botschaft sendet Schmid jedes Mal aus.
„Er hat eine Chance verdient“, meint eine ältere Zuhörerin. Doch mit der Alphamännchen-Rolle fremdelt Schmid - wie in Reutlingen. 50 Betriebsräte sind bei dem IG Metall-Treffen. Manche sind sauer auf die SPD wegen Hartz IV, andere stinksauer. 45 Minuten lang streitet Parteichef Sigmar Gabriel und droht: Wer die Linke wählt, sorgt dafür, dass Mappus Ministerpräsident bleibt. Schmid sitzt neben Gabriel - und schweigt meist. „Jetzt sen mer fünfmal mit dene auf’d Schnauz g’falle, jetzt wird’s halt a sechstes Mol so sei“, brummt ein Gewerkschafter. Zustimmung auf Schwäbisch.