Essen. . Vor 25 Jahren schockte die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Welt. In der Sperrzone, so groß wie Luxemburg, herrscht bis heute Leere und Verfall. „Wir können Erdäpfel und Kohl erst wieder in 20.000 Jahren anbauen“, sagt der Kraftwerks-Direktor.

Fukushima und Tschernobyl, so vieles ähnelt sich. Es sind die kargen, widersprüchlichen Informationen der japanischen Regierung, die so fatal an das Schweigen der Apparatschiks in der früheren Sowjetunion erinnern. Damals, vor 25 Jahren, als die Reaktorkatastrophe in der Nordukraine das Vertrauen in die Kernenergie zerstörte.

Es ist der Ostwind, der die Menschen in Schweden aus der Ahnungslosigkeit reißt. Am 27. April 1986 schlagen Geigerzähler rund um das Atomkraftwerk Forsmark aus. Die Messtrupps sind ratlos, denn innerhalb der Anlage läuft der Betrieb störungsfrei. Auch in Finnland wird erhöhte Radioaktivität gemessen. Es ist der Ostwind, der die radioaktive Wolke über Skandinavien treibt und sie später nach Westeuropa schieben wird. Experten verfolgen die Spur zurück, bis hin zum Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Er brennt.

Gewaltige Explosionen erschüttern den Reaktorblock

In den frühen Morgenstunden des 26. April 1986 ist ein Belastungstest des Reaktors angesetzt. Das Team simuliert den Totalausfall der Stromversorgung. Das Experiment geht schief: Technische Pannen treten auf, Menschen machen Fehler, die Notabschaltung erfolgt nicht. Der Reaktor gerät außer Kontrolle, die Katastrophe nimmt ihren Anfang.

Es ist die Bauart des Reaktors, die ihm zum Verhängnis wird. Im Siedewasserreaktor von Tschernobyl wird Graphit eingesetzt. Graphit ist Kohlenstoff in Reinform – es ist brennbar, und dies wird zum Hauptproblem.

Die Menschen sind besorgt

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    Gewaltige Explosionen erschüttern Reaktorblock 4. Sie sprengen die fast 1000 Tonnen schwere Decke des Kraftwerks in die Luft. Strahlender Staub wird mehrere Kilometer hoch in die Atmosphäre geschleudert. Er schlägt sich in der Nähe des Reaktors nieder. Das glühende Graphit fängt Feuer. In den folgenden zehn Tagen verbrennen insgesamt Hunderte Tonnen.

    Moskau schickt tausende Helfer, so genannte Liquidatoren. Hubschrauber werfen Sand auf den glühenden Reaktor. Die Katastrophe von Tschernobyl wird zum Super-GAU – unkontrolliert entweicht Radioaktivität. Doch die Welt jenseits des Eisernen Vorhangs ahnt nichts.

    Laut Experten starben bis zu 200.000 Menschen

    Die Menschen in der DDR lesen am 28. April 1986 auf Seite fünf der Zeitung „Neues Deutschland“ eine knapp gefasste Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass. Sie lautet: „Im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine hat sich eine Havarie ereignet. Einer der Kernreaktoren wurde beschädigt. Es werden Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen der Havarie ergriffen. Den Betroffenen wird Hilfe erwiesen. Es wurde eine Regierungskommission eingesetzt.“ Die Apparatschiks, sie schweigen über das wahre Ausmaß.

    Wie viele Menschen starben, ist bis heute umstritten. Die höchsten Strahlendosen erhielten die Aufräumarbeiter, die Liquidatoren. In Minuteneinsätzen beseitigten sie kontaminierte Trümmerteile, die meisten von ihnen trugen nur unzureichende Schutzkleidung. Die Russische Akademie der Wissenschaften schätzt, dass an den Folgen der Katastrophe bis zu 200 000 Menschen starben. Andere Studien nennen weitaus geringeren Zahlen, bis hin zu lediglich ein paar Dutzend Toten. Auch über ökologische Folgen der freigesetzten Radioaktivität liefern sich Wissenschaftler Langzeitdebatten.

    Der volkswirtschaftliche Schaden des Super-GAUs von Tschernobyl wird auf 300 Milliarden US-Dollar geschätzt. Eine Betonhülle, genannt Sarkophag, deckelt heute den Reaktor. Im Inneren strahlen die Trümmer immer noch. Diese erste Betondecke zeigt bereits Schäden. Eine zweite Schutzhülle soll nun gesamten Bau einschließen. Wann dieses Milliardenprojekt fertiggestellt wird, ist unbekannt.

    Tschernobyl strahlt. In einem Umkreis von 30 Kilometern rund um den Unglücksreaktor wurden im Laufe der Jahre über 300 000 Bewohner ausgesiedelt. In einem Gebiet so groß wie Luxemburg herrschen Leere und Verfall. „Wir können Erdäpfel und Kohl hier erst wieder in 20 000 Jahren anbauen“, sagte Kraftwerks-Direktor Igor Gromotkin.