Hitlers Unrechtssystem konnte sich auf "gleichgeschaltete" Richter und Staatsanwälte stützen. Juristen selbst pervertierten das Recht. Am Landgericht Essen informiert eine Ausstellung über die Justiz im NS-Staat

Essen. Wahrscheinlich ist Roland Freisler der bis in die Gegenwart bekannteste Richter unter dem Hakenkreuz. Zynisch, unbeherrscht, bar jeden Respekts vor der Würde eines Menschen; vor dessen Leben. Ohne Respekt vor dem Recht.

Wahrscheinlich ist der Blutjurist Hitlers deshalb ein Begriff, weil sich Filmaufnahmen seiner Schauprozesse vor dem "Volksgerichtshof", der höchsten Instanz des NS-Staats für politische Strafsachen, ins kollektive Gedächtnis der Nachkriegszeit eingebrannt haben.

Etwa jene Befragung von Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld im Prozess gegen die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944; einigen der Angeklagten waren Hosenträger und Gürtel abgenommen worden, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Freisler schrie und brüllte sie an. Dem Grafen schleuderte er "Sie sind ein schäbiger Lump! Nur ein Häufchen Elend", entgegen.

Neun von zehn der Verfahren unter Freisler endeten mit lebenslanger Haft oder Todesurteil. Die Urteile standen oft schon vor Prozessbeginn fest.

Freisler war nur ein Exponent der Zunft, keineswegs der Ausnahmefall. Ein großer Teil der Juristen war in jenen zwölf Jahren des "Dritten Reichs" im NS-Unrecht verstrickt. Seit der Machtübernahme Hitlers waren 1933 liberale Anwälte und missliebige Juristen aus den Gerichten verdrängt worden. Und das Gros derjenigen, die verblieben, machte mit. Juristen selbst deformierten das Recht im Sinne der NS-Ideologie. So ermöglichten sie abscheulichste Untaten - und alles nach "Recht und Gesetz".

Einst fasste der Philosoph Platon das für seine Staatsauffassung Ungeheuerliche in einem knappen Satz zusammen, als er schrieb: "Die äußerste Ungerechtigkeit ist die, die unter dem Schein des Rechts begangen wird." Doch eben das wurde Prinzip: Das Justizministerium wirkte am "Rassenreinheitsprogramm" mit, in dessen Folge Sterilisationsgesetze erlassen wurden, welche die Ausrottung von Juden und "Asozialen" ermöglichten. Richter und Staatsanwälte ließen sich für "Erbgesundheitsgerichte" missbrauchen. Juristen wurden zu Komplizen der Herrscher, indem sie deren Politik an Sondergerichten in "Strafrecht" gossen, das vor allem dem einen Zweck diente: Der Aufrechterhaltung des Unterdrückungssystems. Und neue Rechtsbegriffe wurden geboren: "Führertum" etwa oder "völkische Ordnung" und "Rassenschande".

Es hat nach Kriegsende niemals eine wirkliche Aufarbeitung der Verstrickung von Juristen gegeben. Viele machten in der Republik weiter Karriere. Beim "Juristenprozess" der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse saßen 1947 nur zwölf Richter, Staatsanwälte und Justiz-Beamte auf der Anklagebank. Es gab vier lebenslange, sechs mehrjährige Freiheitsstrafen und vier Freisprüche. Kein Verurteilter war Ende der 50er Jahre noch in Haft.

Die Problematik der Verfahren lag darin, Verbrechen zu ahnden, die "im Namen des Gesetzes", also nach zwar pervertiertem, aber doch gültigem Recht begangen wurden.

Aber der Gerichtshof ließ keine Zweifel an der schuldhaften Verstrickung der Juristen in das Regime, indem er von der "Preisgabe des Rechtssystems zur Erreichung verbrecherischer Ziele" sprach. Auch: "Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen", war in der Urteilsbegündung zu lesen.