Berlin. .
Die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze könnte einem Medienbericht zufolge um 400 Millionen Euro teurer werden als bisher bekannt. Wie die "Wirtschaftswoche" am Samstag vorab berichtete, wird die Grundsicherung 2012 nicht nur um weitere 3 Euro auf dann 367 Euro steigen, sondern zusätzlich noch um einen Faktor X angehoben werden. Die Anhebung der Regelsätze folge dabei einem Mischindex, der sich zu 70 Prozent an der Inflation und zu 30 Prozent am Nettolohnanstieg orientiert. Entscheidend für die Angleichung 2012 seien die Daten für das zweite Halbjahr 2010 und die erste Jahreshälfte 2011.
"Nimmt man an, dass Inflationsrate und Lohnentwicklung im Durchschnitt bei je zwei Prozent liegen, müsste der Regelsatz um 7,28 Euro angehoben werden", prognostiziert der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer. Für den Bund werde das Mehrausgaben von etwa 400 Millionen Euro bedeuten. Die Grundsicherung würde damit auf 374 Euro steigen. Das Ministerium will sich den Angaben zufolge erst äußern, wenn valide Zahlen vorliegen.
Nach einem Bericht des "Focus" wird der Kompromiss bis zum Jahr 2015 zu Mehrkosten von 23,5 Milliarden Euro führen. Wie das Magazin am Samstag vorab unter Berufung auf eine Aufstellung des Bundesfinanzministeriums berichtete, muss der Bund im laufenden Jahr durch die Neuregelung zwei Milliarden Euro mehr ausgeben, bis 2015 steige der Jahresbetrag dann auf 6,6 Milliarden Euro zusätzlich.
Profitieren werden demnach die Kommunen, die bis 2015 um rund zwölf Milliarden Euro geringere Ausgaben haben dürften. Die Bundesländer würden mit jährlich 60 bis 80 Millionen Euro entlastet. Grund für die Kostensteigerung beim Bund sei vor allem dessen Bereitschaft, stufenweise die Sozialkosten der Gemeinden für arme Rentner zu übernehmen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat laut Medienbericht „erhebliche Zweilfel“, ob die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze verfassungskonform sei. Arbeitgeberverbände warnen vor milliardenschweren Folgen für die Beitragszahler.
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hält es für möglich, dass die am Freitag von Bundestag und Bundesrat beschlossene Hartz-IV-Reform vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. „Ich habe erhebliche Zweifel, ob die Berechnung der Regelsätze verfassungskonform ist. Arbeitsministerin von der Leyen ist da große Risiken eingegangen“, sagte Gabriel der Zeitung „Bild am Sonntag“ laut Vorabbericht. „Die SPD hat nur keinen Sinn mehr gesehen, darüber weiter zu streiten, wir haben lieber das Bildungspaket verbessert und weitere Mindestlöhne durchgesetzt.“
Zuvor hatte bereits der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Hartz-Kompromisses geäußert. Er sei „nicht ohne Sorge, was eine mögliche Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht betrifft“, sagte Beck am Freitag im Bundesrat bei der Beratung der Hartz-Reform. Es blieben Zweifel an der Berechnungsgrundlage des Regelsatzes.
Im dritten Anlauf hatten Bundesrat und Bundestag grünes Licht für die Hartz-IV-Reform gegeben. Rückwirkend ab Jahresanfang steigt das Arbeitslosengeld II für etwa 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Bezieher um fünf auf 364 Euro im Monat. Im nächsten Jahr gibt es drei weitere Euro zusätzlich zu der dann anstehenden jährlichen Anpassung an die Entwicklung von Preisen und Löhnen. Für etwa 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien gibt es künftig Zuschüsse etwa für Schulessen, Nachhilfe und Vereine.
Arbeitgeber wollen Änderungen der Reform
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) verlangt Korrekturen am Kompromiss zur Hartz-IV-Reform. Ansonsten hätten die Beschlüsse für die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung milliardenschwere Belastungen zur Folge, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt der Zeitung „Rheinpfalz am Sonntag“ laut einem Vorabbericht. Der Bundesagentur für Arbeit würden rund vier Milliarden Euro aus der Mehrwertsteuer entzogen, die ausschließlich der Beitragssenkung dienten. „Damit droht der Bundesagentur für Arbeit ein dauerhaftes Defizit“, unterstrich Hundt.
Zugleich warnte der BDA-Präsident, die Finanzlücke mit einer Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung ausgleichen zu wollen. „Das würde zulasten von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gehen“, sagte Hundt und fügte an: „Deshalb fordere ich die Politik auf, eine Gegenfinanzierung durch Strukturreformen in der Arbeitslosenversicherung sicherzustellen.“
Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, hält die Hartz-IV-Reform für verfassungswidrig. „Wir haben große Zweifel, ob die neuen Hartz-IV-Regelsätze den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes genügen“, sagte Sommer dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstagsausgabe). Sommer kündigte an, Mitgliedern des DGB „Rechtsschutz“ bei Klagen gegen die Reform zu geben. (afp, dapd, rtr)