Essen. Wer die Rente ab 67 Jahren schon als Zumutung empfindet, wird sich bald vielleicht noch länger gedulden müssen. In Deutschland und Europa wird nun über die Rente ab 70 diskutiert. Zu Recht, wie WAZ-Chefredakteur Reitz in seinem Blog schreibt.
Die Vorgabe aus Brüssel ist klar. Bis zum Jahr 2060 muss dem Willen der Europäischen Kommission das durchschnittliche Pensionsalter bei den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf 70 Jahre steigen. Momentan liegt es bei 61,4 Jahren – in Deutschland bei 61,7 Jahren.
Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, hält deshalb die Rente mit 67 Jahren nur für einen ersten Schritt. „Ich glaube, die Geburtsjahrgänge ab 1975 werden sich auf die Rente mit 70 einstellen müssen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete der „Rheinischen Post“.
Die Junge Union vertrete diese Position bereits seit Jahren. „Das Problem hat sich verschärft“, fügte Mißfelder hinzu. Gewerkschaften und Sozialverbände sowie Teile der SPD und Grünen halten die aktuelle Regel hingegen für unsozial.
Vertreter der Bundesbank sind jedoch ebenfalls der Meinung, dass die Rente mit 67 nicht ausreicht, um das Wirtschaftssystem zu stabilisieren und fordern das Eintrittsalter auf mindestens 69 Jahre zu erhöhen. Mittlerweile haben auch mehrere Regierungen in Europa an der Rentenschraube gedreht.
Das jüngste Beispiel stammt aus der vergangenen Woche. In Spanien hat die Regierung in Anlehnung an die Entscheidung des deutschen Bundestages von 2007 beschlossen, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Die Reform sieht vor, dass von 2013 an das Rentenalter jedes Jahr um einen Monat und später um jeweils zwei Monate erhöht wird. Von 2027 an müssen dann alle Spanier bis 67 arbeiten - außer wenn sie 38,5 Jahre eingezahlt haben. Dann dürfen sie bereits wie gehabt mit 65 in Rente.
Griechenland: Aufgrund der drohenden Pleite des Landes hat die griechische Regierung unter dem Druck der Finanzkrise und der hohen Staatsverschuldung das Renteneintrittsalter von 61 auf 65 Jahre erhöht.
Dänemark: Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen will erreichen, dass alle heute 30 Jahre alten Dänen bis Mitte 70 arbeiten. „Es geht um das Überleben der dänischen Wirtschaft“, sagte er und begründete seinen Reformvorschlag mit dem Mangel an Fachkräften und den steigenden Ausgaben für die Rentenversicherung, die die dänische Wirtschaft kollabieren lassen könnten.
Frankreich: Trotz zum Teil gewaltätiger Massenproteste in der Bevölkerung hat die französische Regierung im vergangenen Jahr das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre erhöht. 2008 gingen Franzosen im Durchschnitt noch mit 59,3 Jahren in den Ruhestand.
Das bisher niedrigste Renteneintrittsalter hat übrigens Schweden. Es liegt bei 61 Jahren. Wer jedoch bis 70 arbeiten möchte, kann dies tun und erhält dafür auch noch kontinuierlich steigende Zuschläge.
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In seinem Blog „Reitzthema“ kommentiert WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz dazu:
Rente mit 70?
Demnächst mit 67 Jahren in Rente, demnächst mit 70, danach noch später.
Spinnen die Dänen?
Nicht irgendwer, sondern der Ministerpräsident des Landes, Lars Rasmussen, begründete seinen Vorschlag für eine derartig radikale Rentenreform. Das gehe nicht anders, gehe es doch um nicht weniger als das Überleben der Wirtschaft und des Rentensystems.
Sicher: Das klingt wie Angela Merkels „alternativlose“ Schlapp-Staaten-Rettung oder Gerhard Schröders Basta-Politik. Andererseits: Vielleicht muss, wer unpopuläre Dinge durchsetzen will, zu derart kraftmeierischer Rhetorik greifen.
Rasmussen wurde selbstredend mächtig verprügelt von der Opposition. Dabei ist sein Vorschlag doch nur vernünftig, vor allem dies: Den Beginn der Rente an die Entwicklung des durchschnittlichen Lebensalters eines Volkes zu binden. Damit wäre klar: Rente bekommt man als Durchschnitts-Deutscher oder –Däne maximal 15 Jahre, ganz gleich, wie alt man wird.
Das ist natürlich nicht nur in Dänemark ein Tabu. Über die Rente mit 67 hat es die SPD mehr oder weniger zerlegt. Und auch die CDU will über das Thema am liebsten gar nicht reden. Das ist natürlich Politikverweigerung, zynischer: Vielleicht besteht Politik gerade in diesem empfindlichen Fall in Politikverweigerung.
Denn Rente hat an sich viel mehr mit Mathematik als mit Politik zu tun. Es ist völlig klar, dass die Renten sinken müssen, wenn immer weniger Menschen immer mehr Menschen im Alter versorgen müssen. Es gibt aber nur zwei Wege, wie Renten sinken können: Entweder wird absolut weniger Rente gezahlt, oder für die unverändert hohe Rente muss länger gearbeitet werden.
Ganz gleich, wie der Dänenstreit ausgeht: Auch die Deutschen kommen an einer neuen Rentenformel nicht vorbei. Leider wird viel zu wenig über die Chancen geredet, die darin liegen. Wie will und kann man arbeiten, wenn man älter als 65 Jahre alt ist? Wie viele Tage, wie viele Stunden welche Belastung? Wie viel Urlaub, wie viel Freizeit? Und so weiter. Es gibt schließlich eine ganze Menge Menschen, die sich davor fürchten, eines Tages gar nicht mehr arbeiten zu dürfen.