Brüssel. .

280.000 Menschen kamen letztes Jahr bei Naturkatastrophen um. Die EU stellte 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Kommissarin für Humanitäre Angelegenheiten erzählt, was mit dem Geld geschieht.

Weltweit starben 2010 etwa 280.000 Menschen infolge von Naturkatastrophen und Konflikten. Damit verloren deutlich mehr ihr Leben als in den Vorjahren, als im Schnitt 70.000 Menschen bei solchen Ereignissen umkamen. Die in Geld bezifferbaren Verluste summierten sich 2010 auf 180 Milliarden Euro. Wie reagierte die EU als weltgrößte Bereitstellerin humanitärer Hilfe? Das erzählt die EU-Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten, Kristalina Georgieva. Die Bulgarin (57) war einst Vize-Präsidentin der Weltbank.

Wie war 2010?


Kristalina Georgieva : Es war sehr schwierig. 2010 ist das einzige Jahr, an das ich mich erinnern kann, in dem wir zwei Mega-Naturkatastrophen hatten: das Erdbeben in Haiti und die Fluten in Pakistan. Zudem hat uns die Natur in vielen anderen Regionen auf die Probe gestellt – mit Fluten in Europa, Feuern in Russland und Israel. Aber: Die Großzügigkeit der Bürger und Staaten war trotz der Wirtschaftskrise bemerkenswert. Insgesamt sehe ich weltweit Schwachpunkte, was Vorbeugung und Vorbereitetsein betrifft, da wir mit einer steigenden Zahl und Heftigkeit von Katastrophen rechnen müssen.

Warum ist es so schwierig, der Armut den Garaus zu machen?


Georgieva : Armut kann man nur beseitigen, indem man Menschen befähigt, für sich zu sorgen. Es ist aber keine leichte Aufgabe, Menschen in Regionen, in denen ethnische Konflikte toben oder wenig natürliche Ressourcen genutzt werden, Zugang zu Bildung und Arbeit zu ermöglichen. Im vorigen Jahrzehnt schafften es Millionen Menschen, für sich und ihre Familien sorgen zu können. Wenn wir uns beharrlich bemühen, ist eine Welt ohne Armut möglich. Aber oft haben wir nicht die Geduld, auf Ergebnisse zu warten, die erst nach ein oder zwei Generationen sichtbar werden. Es geht nicht nur um Investitionen, sondern manchmal auch darum, die Art und Weise zu verändern, wie eine Gesellschaft funktioniert. Das braucht viel Zeit.

Was war Ihr schönstes Erlebnis in Ihrem ersten Jahr als EU-Kommissarin? Und welches Ihr schrecklichstes?

Georgieva : Das schönste Erlebnis hatte ich im westafrikanischen Land Niger. Wir haben Frauen mit 30 Euro im Monat geholfen, Nahrung für ihre Familien zu kaufen. Eine Frau nahm mich mit in ihre Hütte. Ihre Kinder schliefen – sie konnten schlafen, da ihre Bäuche voll waren. Die Bilder der strahlenden Frauen, die wussten, dass wir ihnen nicht nur halfen, ihre Kinder satt zu bekommen, sondern auch ihre Stellung in ihrer Gemeinschaft zu verbessern – das war mein schönstes Erlebnis. Mein schlimmstes Erlebnis? Oh, da gibt es viele. Den schwierigsten Moment aber erlebte ich in Pakistan. Als ich erkannte, wie groß und verheerend die Flutkatastrophe dort war und wie unvorstellbar schwierig es würde, mit den Folgen klarzukommen.

Das EU-Budget für humanitäre Hilfe wurde 2010 komplett aufgebraucht. Wie sieht es 2011 aus?

Georgieva : Ich kann mit einem gewissen Stolz auf Europa sagen, dass wir 2010 mit 800 Millionen Euro begonnen haben und bis Jahresende 1,1 Milliarden Euro ausgegeben haben. Damit haben wir 140 Millionen Menschen in der Welt geholfen – unsere Gelder haben also großen Einfluss gehabt. Ungeachtet der Weltwirtschaftskrise erhöhten wir unsere humanitäre Hilfe um 300 Millionen Euro. Ich bete, dass 2011 nicht so anstrengend wird. Aber ich bin überzeugt, dass die EU bereitsteht, wenn Hilfe nötig ist. Die Europäer wissen, dass wir eine Welt, die auf Mitmenschlichkeit und Solidarität gründet, nicht nur den Bedürftigen schulden, sondern auch uns und unseren Kindern.