Essen/Islamabad. Die Zeit vergeht, das Wasser bleibt. Vor zwei Monaten sind weite Teile Pakistans von den Fluten heimgesucht worden, 21 Millionen Menschen sind betroffen, über die Hälfte von ihnen bedarf akuter Nothilfe, um zu überleben.
Von den wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe ganz abgesehen – 3,6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche wurden weggeschwemmt, den Bauern fehlt es an Saatgut und Hilfe bei der Reparatur ihrer Brunnen und Bewässerungskanäle. Die Gefahr einer Hungersnot in den ärmsten Regionen entlang des Indus ist nicht gebannt.
Gemessen am Ausmaß der größten Naturkatastrophe in der Geschichte der UNO tröpfeln die Hilfsgelder erst spärlich. Knapp 500 Millionen Dollar haben die Vereinten Nationen in den ersten Hochwasser-Wochen zugesagt – von den veranschlagten zwei Milliarden Dollar, die die UNO dieser Tage bei den Geberstaaten anmahnte, ist man noch weit entfernt. Einen Hilfsappell dieser Größenordnung gab es nie zuvor.
Regierung hat versagt
Doch selbst offiziell zugesagte Gelder sind noch nicht überwiesen. Weil viele Regierungen, aber auch private Organisationen (berechtigte) Bedenken hegen, die Hilfsgelder könnten zweckentfremdet werden. Die Korruption reicht in Pakistan „bis in die höchsten Spitzen des Staates“, weiß der renommierte Autor Ahmed Rashid, so sei ein Großteil der Spenden nach dem verheerenden Erdbeben in Kaschmir 2005 in dunklen Kanälen versickert: „Nach wie vor gibt es keine transparente Institution, die sich um die Verteilung der Gelder kümmert“. Aber Spenden an Organisationen wie Brot für die Welt, Caritas oder Welthungerhilfe, die vor Ort selbst für die Verteilung sorgen, bleiben dennoch sinnvoll und notwendig.
Die Betroffenen, die noch immer nicht in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren können, misstrauen ihren Politikern noch mehr als vor der Flut. Das Versagen der Regierung in Islamabad hat das Ansehen der Demokratie weiter beschädigt und die ohnehin prekäre innenpolitische Stabilität Pakistans weiter geschwächt. Schon vor der großen Flut wuchs stetig die „Talibanisierung“ der Gesellschaft: Längst gelten die Gesetze der Scharia auch in etlichen großen Städten, zwingen die Militanten jungen Koranschülern ihr steinzeitliches Gedankengut auf, werden Frauen gezwungen sich zu verschleiern.
Soldaten kümmern sich um Flüchtlinge
Die Taliban haben inmitten der Katastrophe nicht etwa einen Waffenstillstand angeboten, sondern ihren Einfluss ausgebaut, indem sie Flutopfer mit Hilfsgütern versorgen. Die Verwüstungen der Infrastruktur beeinträchtigen die „Gotteskrieger“ zwar in ihren Aktionen, dennoch prägen Selbstmordattentate und Autobomben gegen die Sicherheitskräfte immer wieder den Alltag. Da sich die Soldaten um die Flüchtlinge kümmern müssen, ist der Kampf der Armee gegen die Taliban ins Stocken geraten.
Aber es vergeht kein Tag, an dem der Krieg im benachbarten Afghanistan nicht auf Pakistans Territorium ausgetragen wird – durch Drohnenangriffe oder Kampfhubschrauber der Nato-Schutztruppe gegen die Aufständischen. Erst am letzten Wochenende wurden im Grenzgebiet auf pakistanischer Seite wieder 30 Extremisten getötet.