Berlin. Die Grünen kommen in Reichweite ihres besten Ergebnisses jemals – und verfehlen das Ziel doch deutlich. Das liegt auch einer anderen Partei.

Ist das nun ein Erfolg? Sie jubeln im Festsaal Kreuzberg, bei der Wahlparty der Grünen, als um 18 Uhr die Zahlen der ersten ARD-Prognose auf dem Bildschirm auftauchen. Der grüne Balken ist da noch fast so hoch wie im September 2021, später wird er kleiner werden. Nah dran am Ergebnis vom letzten Mal – und das reicht für Jubel?

Wie man dieses grüne Wahlergebnis bewertet, ist eine Frage des Maßstabs. Stellt man es in eine Reihe mit allen vorherigen Wahlergebnissen der Partei, ist es ein Erfolg – den ersten Zahlen nach dürfte es der zweithöchste Stimmenanteil sein, den die Partei je bei einer Bundestagswahl erringen konnte. Nur bei 2021 holte die Partei mehr Prozentpunkte. Misst man es an dieser vorherigen Wahl – misst man den Kanzlerkandidaten Robert Habeck an der damaligen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock – so kommt Habeck nah an Baerbocks Ergebnis heran, schafft es aber nicht, sie zu überflügeln.

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Misst man das, was die Grünen an diesem Tag an Zustimmung bekommen haben, an dem Anspruch, mit dem sie nach dem Bruch der Ampel-Koalition in diesen Wahlkampf gestartet waren, muss man festhalten: Dieser Anspruch wurde weit verfehlt.

Grüne: Robert Habeck war angetreten, Kanzler zu werden

Denn Robert Habeck war angetreten, Kanzler zu werden – nach drei Jahren als Vizekanzler erneut „die Verantwortung zu suchen“, wie er es selbst formulierte. Die Grünen wollten diejenigen sein, die nach dem ermüdenden Dauerstreit der Ampel Aufbruch und Zuversicht ausstrahlen.

Und der Wahlkampf, der an den Küchentischen begann, zeigte durchaus Ergebnisse: Die Grünen verzeichneten nach dem Zerfall der Ampel-Regierung nach eigenen Angabe 42.000 neue Mitglieder, rund 169.000 Menschen gehören der Partei inzwischen an. Der Andrang bei Wahlkampfauftritten war groß, tausende Menschen kamen. Und vom Umfragetief zum Ende der Regierung arbeitete sich die Partei zumindest ein paar Prozentpunkte nach oben.

Doch die Strategie wirkte vor allem ins eigene Milieu hinein: Die Kernwählerschaft der Grünen, das zeigt dieses Wahlergebnis, ist inzwischen deutlich größer und stabiler, als sie es einmal war. Doch darüber hinaus Leute anzusprechen, ist kaum gelungen.

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„Das war exakt der Wahlkampf, den ich führen wollte“, sagte Robert Habeck trotzdem am Wahlabend. Und man kann ergänzen: Es war der Wahlkampf, den er eigentlich 2021 schon hätte führen wollen, wäre damals nicht Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin geworden.

Ampel-Parteien: Die Grünen haben die wenigsten Blessuren davongetragen

Doch 2025 ist nicht 2021. Und die Idee vom „Bündniskanzler“, die die Grünen anboten, hat bei vielen Wählerinnen und Wähler nicht ausgereicht, um das Bild zu überschreiben, das in den vergangenen Jahren entstanden war: Habeck als Klimaschutzminister, der mit dem Gebäudeenergiegesetz das kontroverseste Projekt der Legislatur vorangetrieben hat, als Wirtschaftsminister, unter dem das Land trotz erfolgreich bewältigter Energiekrise in eine Rezession rutschte, die inzwischen ins dritte Jahr geht.

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#1 Robert Habeck über Krieg, Frieden und Waffen

Meine schwerste Entscheidung

Dazu kamen hausgemachte Fehler der Kampagne. Verglichen mit den ehemaligen Koalitionspartnern sind die Grünen allerdings der Teil der ehemaligen Regierung, der an diesem Sonntag die geringsten Blessuren davongetragen hat von dreieinhalb zehrenden Ampel-Jahren. Und so ist die Stimmung auf der Party an diesem Abend nicht euphorisch, aber doch einigermaßen zufrieden und aufgeräumt. „Wir müssen nicht in Sack und Asche gehen“, so formuliert es eine Grüne an diesem Abend. Besorgt blicken viele Grüne an diesem Abend aber auf die absehbar schwierige Regierungsbildung. 

NameRobert Habeck
Geburtsdatum2. September 1969
AmtWirtschaftsminister, Vizekanzler
ParteiBündnis 90/Die Grünen
Parteimitglied seit2002
FamilienstandVerheiratet, vier Söhne
WohnortBerlin/Flensburg

Und doch bleiben Schäden. Unter dem Leitmotiv der Verantwortung, das vor allem Habeck immer wieder betont hatte, war die Partei im Bündnis mit SPD und Liberalen immer wieder Kompromisse eingegangen, die das Verhältnis zwischen Regierung und Parteibasis, aber auch zwischen Regierung und dem Umfeld der Partei massiv unter Spannung setzten. Und auf keinem Feld waren diese so schmerzhaft wie in der Migrationspolitik, wo die Grünen härtere Abschieberegeln, Bezahlkarten statt Bargeld für Geflüchtete und andere Verschärfungen mittrugen. Zuletzt war es Robert Habecks 10-Punkte-Plan zur Migrationspolitik, entstanden unter dem Eindruck der Attacken in Magdeburg und Aschaffenburg, der im linken Parteiflügel für Irritationen sorgte.

Markus Söder hat Schwarz-Grün lautstark abgelehnt

Vor allem für junge Grünen-Anhänger ist der Migrationskurs der Partei ein zentrales Thema, die Distanz zur harten Linie der Union groß. Und mit dem überraschenden Comeback der Linkspartei hatte diese Gruppe plötzlich eine andere Wahlmöglichkeit.

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Nach Lesart des Kandidaten hat dabei auch die Abstimmung der Union mit der AfD im Bundestag eine Rolle gespielt: Danach, sagte Habeck am Sonntagabend, hätten viele Leute gesagt, „so nicht, und nicht regieren mit der Union“. Doch eine Koalition mit Friedrich Merz und der Union auszuschließen, das wäre „für mich nicht möglich gewesen“. Die Zusammenarbeit mit einer demokratischen Partei von vornherein auszuschließen, passt nicht zu einem Politiker, der für sich in Anspruch nimmt, zusammenführen zu wollen.

Die Idee eines schwarz-grünen Bündnisses hat allerdings CSU-Chef Markus Söder in den vergangenen Monaten ununterbrochen und lautstark abgelehnt. Ob das rechnerisch eine Möglichkeit sein wird, war am Abend zunächst offen – die Mehrheitsverhältnisse hängen ab von der Zahl der Fraktionen, die am Ende im Parlament vertreten sein werden. Zumindest denkbar wäre auch eine Kenia-Koalition mit Union und SPD. Ob grüne Regierungsarbeit weiter möglich sein wird oder nicht – auch das könnte ein Maßstab für Erfolg werden.