Berlin. Was über Opfer und Täter bekannt ist, welche Rolle der Nahost-Krieg spielt und warum sie sich viele Attentäter in Deutschland radikalisieren.
Das rot-weiße Plastikband der Polizei ist um das ganze Areal des Holocaust-Mahnmals gespannt. Mit der Absicht, „Juden zu töten“, ist ein syrischer Flüchtling aus Leipzig am Freitagabend an die Gedenkstätte gekommen, so die Polizei. Der 19-Jährige stach auf einen Spanier ein und verletzte ihn schwer. Was über den Angriff am Holocaust-Mahnmal und die Folgen bekannt ist:
Was weiß man über den Täter vom Angriff am Holocaust-Mahnmal?
Es handelt sich um einen 19-Jährigen aus Syrien. Wassim al M. kam ohne Familie 2023 über die Balkan-Route nach Deutschland. Seit Oktober 2023 ist er als Flüchtling anerkannt und lebt legal in Deutschland. Seinen Angaben zufolge war er in Syrien vom Assad-Regime festgenommen und gefoltert worden. Er lebte in Leipzig in einer Flüchtlingsunterkunft. Dort fiel er nach Angaben aus Sachsen „mit einfachen Straftaten der allgemeinen Kriminalität“ auf, allerdings nicht als Mehrfachtäter. Einen politischen Hintergrund habe es nicht gegeben. Der Ermittlungsrichter erließ am Samstag wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung Haftbefehl gegen ihn. Für die Tat war er offenbar am Freitag gezielt mit dem Zug von Leipzig nach Berlin gereist.
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Holocaust-Mahnmal in Berlin: Was weiß man über das Motiv des Täters?
Die Ermittler gehen von einem antisemitischen Motiv aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir müssen von einem antisemitischen Hintergrund ausgehen – und das am Denkmal für die ermordeten Juden Europas, einem Ort der Mahnung und Erinnerung.“ Der Täter habe offenbar „vor dem Eindruck des Nahostkonflikts für sich entschieden, dass er gezielt Juden attackieren“ wolle, sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner: Er habe sich deswegen das Holocaust-Mahnmal als Angriffsort ausgesucht.
Laut Äußerungen des Beschuldigten gegenüber der Polizei reifte seit einigen Wochen der Plan in ihm, Juden zu töten. Der Syrer hatte einen Rucksack dabei, in dem sich neben der Tatwaffe ein Gebetsteppich, ein Koran und ein Zettel mit Versen aus dem Koran befunden haben. Die Polizei geht derzeit offenbar davon aus, dass der Angreifer ein Einzeltäter war. Ob er psychisch erkrankt ist, wird untersucht.
Wie kam es zu der Festnahme durch die Polizei?
Der Syrer wollte offenbar erkannt werden. Er kehrte nach knapp drei Stunden zum Tatort zurück. Polizisten wurden durch seine blutverschmierten Hände auf ihn aufmerksam und überwältigten ihn. Er habe bei der Festnahme einen klaren Eindruck gemacht und sei kooperativ gewesen, so die Polizei.
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Wer war das Opfer?
Sein Opfer hat der Syrer offenbar zufällig ausgewählt. Es handelte sich um einen 30 Jahre alten Spanier aus Bilbao. Wassim al M. näherte sich ihm von hinten und fügte ihm mit einem Jagdmesser einen tiefen Schnitt in den Hals zu. Das Opfer wurde notoperiert und einige Zeit in ein künstliches Koma versetzt, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit. Er sei inzwischen außer Lebensgefahr.
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Hat der Nahostkonflikt die jüngsten Attentäter radikalisiert?
Im Unterschied zu den letzten Attentaten in München, Aschaffenburg und Magdeburg legt die Auswahl des Tatorts legt dieses Mal nahe, dass der Gaza-Krieg eine Rolle spielte. Nach Einschätzung des Terrorismusexperten Peter R. Neumann haben die Terroroffensive der Hamas am 7. Oktober 2023 und die anschließende Militärkampagne Israels in der dschihadistischen Bewegung „eine unglaubliche Mobilisierung“ verursacht. „Wir beobachten seitdem eine Vervierfachung von versuchten und durchgeführten dschihadistischen Aktivitäten in Europa“, sagte Neumann dem „Spiegel“.
Schon kurz nach dem Ausbruch des Gaza-Kriegs hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz darauf aufmerksam gemacht, dass Dschihadisten vermehrt zu Attentaten aufrufen, und registriert, dass sich die Terrororganisationen El Kaida und IS den Nahostkonflikt zunutze machen. Das treffe auf „hoch emotionalisierte, durch Trigger-Ereignisse inspirierte Personen“. Wie bei den afghanischen Tätern in München und Aschaffenburg spricht viel dafür, dass der junge Syrer sich erst in Deutschland radikalisierte.
Gab es weitere Vorfälle?
Einen Israel-Bezug hatte offenbar auch eine Festnahme am Freitag. Die Polizei setzte einen 18-Jährigen auf dem Berliner Flughafen fest. Es soll sich um einen Tschetschenen handeln, der in Untersuchungshaft kam, fünf weitere Personen wurden festgenommen. Der Mann soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben. Angeblich wollte er sich dem IS anschließen. In einer Wohnung in Potsdam fand die Polizei einen sprengstoffähnlichen Gegenstand.
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Wie reagiert die Politik?
Nach den Attentaten in Magdeburg, Aschaffenburg und München befeuerte der Angriff in Berlin sofort wieder die Debatte über Abschiebungen in Länder wie Syrien und Afghanistan. Bundesinnenministerin Nancy Faeser forderte, der mutmaßliche Täter müsse mit aller Härte bestraft und „direkt aus der Haft abgeschoben werden“. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, jeglicher Antisemitismus „gehört mit allen Mitteln bekämpft“. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte: „Die Verachtung der Erinnerung an die Schoah und der Hass auf Juden gehen Hand in Hand mit der fundamentalen Ablehnung unserer westlichen Werte und sind oft der ideologische Kern islamistisch motivierter Täter.“
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Schiebt Deutschland nach Syrien oder Afghanistan ab?
Nach Afghanistan wurden bereits einige wenige Straftäter zurückgebracht. Mit Syrern ist das bisher noch nicht geschehen. Die Diskussion über das Bleiberecht von geflüchteten Syrerinnen und Syrern hatte sich sofort intensiviert, nachdem das Assad-Regime im vergangenen Dezember gestürzt worden war. Mit Assads Sturz werden zumindest keine Asylanträge von Syrern mehr bearbeitet.