Tel Aviv/Gaza. Die Islamisten übergeben im Gazastreifen weiteren Geiseln dem Roten Kreuz. Erneut kommt es zu einer martialischen Inszenierung.

Die islamistische Hamas im Gazastreifen hat am Samstag weitere israelische Geiseln im Austausch gegen Hunderte palästinensische Häftlinge freigelassen.  In einer Live-Übertragung im Fernsehen war zu sehen, wie die Terrororganisation dem Roten Kreuz zunächst in Rafah im Süden des Küstengebiets zwei Männer übergab. Später sollten vier weitere folgen.

Vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer in Uniformen inszenierten die Übergabe von Avera Mengistu und Tal Schoham erneut mit einer Bühne, lauter Musik und palästinensischen Fahnen. Schoham wurde gezwungen, einige Worte zu sagen. Die Umgebung der Bühne, Ruinen von Häusern, zeugte vom Krieg. Später sollen in Nuseirat im zentralen Abschnitt des Gazastreifen vier weitere Geiseln übergeben werden. 

Hamas-Kämpfer versammeln sich am Ort der Geiselübergabe.
Hamas-Kämpfer versammeln sich am Ort der Geiselübergabe. © AFP | EYAD BABA

Wenige Stunden zuvor hatte die Hamas eine Leiche übergeben, die sich als Shiri Bibas herausstellte. Das bestätigte der Kibbuz Nir Oz, in dem Shiri Bibas gelebt hatte, am Samstagmorgen. „Der Kibbuz Nir Oz gibt mit tiefem Schmerz und Trauer die Ermordung von Shiri Bibas, seligen Andenkens, bekannt, die am 7. Oktober aus ihrem Zuhause entführt und in Geiselhaft im Gazastreifen getötet wurde“, teilte der Kibbuz mit. Die junge Mutter werde „in Israel an der Seite ihrer beiden kleinen Söhne beerdigt“.

Die sterblichen Überreste der Frau hätten eigentlich bereits am Donnerstag zusammen mit denen ihrer beiden Kleinkinder nach Israel zurückkehren sollen. In dem Sarg, den die Hamas an dem Tag übergeben hatte, befand sich jedoch die Leiche einer anderen, unbekannten Frau.

Schockierende Details über die beiden getöten Kinder

Unterdessen gab Israel eigene schockierende Erkenntnisse über den Tod der beiden kleinen israelischen Geiseln Ariel und Kfir Bibas bekannt. „Im Gegensatz zu den Lügen der Hamas wurden Ariel und Kfir nicht bei einem Luftangriff getötet, sondern kaltblütig ermordet“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. „Die Terroristen haben die beiden Jungen nicht erschossen – sie haben sie mit bloßen Händen umgebracht“, sagte er. Die kleinen Kinder und ihre Mutter Schiri Bibas sollen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besessen haben. Im Augenblick ihrer Entführung war Ariel vier Jahre und Kfir erst zehn Monate alt.

Admiral Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, gab Details über die getöteten Ariel und Kfir bekannt (Archivbild).
Admiral Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, gab Details über die getöteten Ariel und Kfir bekannt (Archivbild). © AFP | -

Anschließend hätten die Terroristen „grausame Taten“ begangen, um ihre Gräueltaten zu vertuschen, sagte Hagari weiter. Details nannte der Armeesprecher nicht. Diese Einschätzung stütze sich auf die forensischen Ergebnisse der Identifizierung der Leichen und auf nicht näher bezeichnete nachrichtendienstliche Erkenntnisse, hieß es. Die Hamas hat Israel dagegen vorgeworfen, den Tod der am 7. Oktober 2023 aus Israel in den abgeriegelten Gazastreifen verschleppten Kleinkinder und ihrer Mutter Schiri durch einen Luftangriff im darauffolgenden November verschuldet zu haben. 

Dabei soll die Leiche der Frau zusammen mit anderen Opfern unter Trümmern begraben worden sein. Deshalb sei am Donnerstag möglicherweise irrtümlich nicht die Mutter, sondern eine andere Tote zusammen mit den sterblichen Überresten der Jungen und einer weiteren israelischen Geisel übergeben worden, erklärte die Terrororganisation. Israel hatte dies als Bruch der Vereinbarungen zur geltenden Waffenruhe und Geiselfreilassung gewertet. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Auch interessant

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte die Hamas wegen der am Donnerstag übergebenen falschen Toten als „grausam und bösartig“ bezeichnet und von „Hamas-Monstern“ gesprochen. Diese würden dafür zahlen, warnte er in einer Videobotschaft. Zugleich sicherte er zu, sich für die Rückkehr aller noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln einzusetzen. 

Übergang für Hilfslieferungen geschlossen

Unter den sechs heute freizulassenden Entführten sind zwei Männer, die seit rund zehn Jahren von der Hamas festgehalten werden. Sie hatten vor ihrer Geiselnahme auf eigene Faust die Grenze zum Gazastreifen überschritten. Beide haben nach israelischen Angaben mit psychischen Problemen zu kämpfen. Die anderen vier Männer waren am 7. Oktober 2023 von der Hamas und anderen extremistischen Gruppen bei deren bislang beispiellosen Massaker im Süden Israels mit 1200 Toten in den Gazastreifen verschleppt worden. 

Zahlreiche Lastwagen mit mobilen Häusern stehen auf der ägyptischen Seite des Rafah-Grenzübergangs in Vorbereitung auf den Transport in den Gazastreifen. Das Foto wurde am Dienstag aufgenommen.
Zahlreiche Lastwagen mit mobilen Häusern stehen auf der ägyptischen Seite des Rafah-Grenzübergangs in Vorbereitung auf den Transport in den Gazastreifen. Das Foto wurde am Dienstag aufgenommen. © dpa | Mayar Mokhtar

Israel hat unterdessen den wichtigsten Übergang für Hilfslieferungen in den Gazastreifen ohne Angabe von Gründen geschlossen. „Der Grenzübergang Kerem Shalom ist heute geschlossen, und seit gestern ist keine Ausrüstung mehr nach Gaza gelangt“, schrieb Netanjahus Sprecher Omer Dostri auf X. 

Nach Angaben der Hamas waren kurz vor der Schließung noch rund zehn Containerhäuser über Kerem Schalom in das abgeriegelte Küstengebiet transportiert worden. Die Lieferung dieser Behelfshäuser für die vielen in Zelten und Ruinen lebenden rund zwei Millionen Gaza-Bewohner ist eine der wichtigsten Forderungen der Hamas für die Fortsetzung der Waffenruhe und den vereinbarten Austausch von Geiseln gegen inhaftierte Palästinenser.