Berlin. Eine neue Studie zeigt: TikTok und X bevorzugen rechte Inhalte in hohem Maße. Die Studienautoren sprechen von einer massiven Bedrohung.

Millionen Likes, Hunderttausende Follower – auf TikTok ist die AfD die erfolgreichste deutsche Partei. Auch in den Umfragen zur Bundestagswahl liegt sie auf Platz zwei. Eine neue Studie sorgt nun für Aufsehen: Kurz vor der Wahl zeigt die NGO „Global Witness“, dass die Algorithmen von TikTok und X rechtspopulistische Inhalte bevorzugen. Die AfD erhält dadurch deutlich mehr Sichtbarkeit als andere Parteien.

Laut der Untersuchung zeigte TikTok 78 Prozent der getesteten politischen Inhalte mit einer AfD-freundlichen Tendenz. Bei X lag der Wert bei 64 Prozent. „Das ist weit mehr als die aktuelle Wahlunterstützung der Partei von rund 20 Prozent“, betont „Global Witness“ gegenüber der Tech-Plattform „TechCrunch“.

Auch der Vergleich zwischen links- und rechtsgerichteten Inhalten ist eindeutig. Nicht-parteiische Nutzende sehen in Deutschland doppelt so oft rechte Inhalte. TikTok kommt auf 74 Prozent, X auf 72 Prozent. Selbst Instagram zeigt mit 59 Prozent eine leichte Rechtsneigung.

Rechtspopulismus auf TikTok: Wie wurde getestet?

Um zu prüfen, ob die Algorithmen politisch voreingenommen sind, richtete „Global Witness“ jeweils drei Testkonten auf TikTok, X und Instagram ein. Diese Accounts folgten den vier größten deutschen Parteien – CDU, SPD, AfD und Grüne – sowie deren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, Olaf Scholz, Alice Weidel und Robert Habeck. Ziel war es herauszufinden, welche Inhalte Nutzenden empfohlen werden, die sich neutral für politische Themen interessieren.

Jedes Testkonto interagierte mit den fünf wichtigsten Beiträgen der gefolgten Accounts. Die Forschenden klickten auf die Inhalte, sahen sich Videos mindestens 30 Sekunden lang an und scrollten durch Threads und Bilder. Anschließend analysierten sie manuell, welche Inhalte die Plattformen den Accounts vorschlugen. Das Ergebnis: Die Feeds zeigten eine deutliche Rechtsneigung.

„Eine unserer größten Sorgen ist, dass wir nicht genau wissen, warum uns bestimmte Inhalte vorgeschlagen wurden“, sagt Ellen Judson, Analystin für digitale Bedrohungen bei „Global Witness“. „Wir haben Hinweise auf eine Voreingenommenheit gefunden, aber es fehlt an Transparenz darüber, wie die Empfehlungsmechanismen funktionieren.“

Kommerzielle Interessen vor demokratischen Werten

Judson vermutet, dass keine gezielte politische Beeinflussung hinter der Verzerrung steckt. Stattdessen könne es sich um einen unbeabsichtigten Nebeneffekt von Algorithmen handeln, die auf maximale Nutzenden-Bindung optimiert sind. „Diese Plattformen haben sich zu zentralen Orten für politische Diskussionen entwickelt. Doch die kommerziellen Interessen der Betreibenden stehen nicht immer im Einklang mit demokratischen Prinzipien.“

Die Ergebnisse von „Global Witness“ decken sich mit früheren Untersuchungen. Bereits 2021 zeigte eine interne Studie von Twitter, dass rechte Inhalte stärker repräsentiert werden als linke.

Musk und die AfD

X-Eigentümer Elon Musk verstärkt diesen Effekt noch. Er hat sich offen zur AfD bekannt und seine 180 Millionen Follower dazu aufgerufen, die Partei zu unterstützen. Zudem führte er ein per Livestream übertragenes Interview mit Alice Weidel, das die Sichtbarkeit der Partei weiter erhöhte.

TikTok wies die Ergebnisse der Studie zurück und kritisierte die Methodik. Die Untersuchung sei nicht repräsentativ, da nur eine begrenzte Anzahl an Testkonten verwendet wurde. X reagierte bislang nicht auf die Vorwürfe. Musk betont immer wieder, dass er die Plattform zu einem Raum für uneingeschränkte Meinungsfreiheit machen wolle – Kritikerinnen und Kritiker sehen darin jedoch eine gezielte Förderung rechtsgerichteter Inhalte.

Gefahren von Rechtspopulismus in Sozialen Medien

Studien zeigen, dass Online-Plattformen längst zu zentralen Orten für die Verbreitung rechtsextremer Propaganda geworden sind. Besonders alarmierend: Jugendliche und sogar Kinder geraten dabei zunehmend in den Fokus. Sie sind fast immer online, vernetzt und empfänglich für gezielt platzierte Inhalte, wie auch die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt.

Rechtsextreme Gruppierungen haben Social Media als Rekrutierungsplattform erkannt. Sie geben scheinbar einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen, bedienen sich einer lebensnahen, oft humorvollen Sprache und stärken über Memes und Videos das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl.

ParteiAlternative für Deutschland (AfD)
Gründung6. Februar 2013
IdeologieRechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis
VorsitzendeTino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: Januar 2025)
Fraktionsstärke76 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Januar 2025)
Bekannte MitgliederJörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke

Durch den Algorithmus sei der Weg in digitale Echokammern, in denen Radikalisierung ungehindert stattfinden kann, dann nicht mehr weit, wie das Bundesministerium des Innern und für Heimat 2022 in einem Bericht schreibt.

Hinzu kommt, dass problematische Inhalte trotz vorhandener Meldefunktionen nicht konsequent gelöscht werden. Plattformbetreiber verweisen zwar auf ihre Moderationsrichtlinien, in der Praxis bleiben extremistische Beiträge aber oft lange sichtbar. Damit verfestigt sich nicht nur der Eindruck, solche Positionen seien gesellschaftsfähig –  sie werden es de facto auch.

Besonders gefährlich ist diese Entwicklung für Jugendliche, die gerade erst beginnen, sich eine politische Meinung zu bilden. Die Verbreitung rechtsextremer Narrative kann ihr Weltbild nachhaltig prägen. Wer früh in diese Strukturen hineinwächst, kommt oft nicht mehr heraus.

Braucht es mehr Transparenz?

„Global Witness“ fordert nun eine Untersuchung durch die Europäische Union. „Wir hoffen, dass die Kommission unsere Ergebnisse nutzt, um diese Verzerrung zu prüfen“, sagt Judson. Die Daten wurden bereits an die EU-Behörden übergeben, die für die Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) zuständig sind.

Der DSA soll Plattformen zu mehr Transparenz verpflichten. Doch viele Vorschriften sind noch nicht umgesetzt. Besonders der Zugang zu nicht-öffentlichen Plattformdaten für unabhängige Forschende fehlt noch.

„Zivilgesellschaftliche Organisationen warten gespannt, wann dieser Zugang kommt“, so Judson. Bis dahin bleibt unklar, ob Social-Media-Plattformen wirklich neutral sind – oder politische Narrative ungewollt verzerren.