Düsseldorf. Im Untersuchungsausschuss zur Rahmedetalbrücke hat eine Ingenieurin als Zeugin ausgesagt. Was das für Ex-Verkehrsminister Wüst heißt.
Die Sperrung der Rahmedetalbrücke und das jahrelange Verkehrschaos rund um die A45 bei Lüdenscheid sind wohl keine Folge unmittelbarer politischer Einflussnahme durch den ehemaligen NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) gewesen.
Darauf deutete am Montag eine wichtige Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss „Brückendesaster“ des Landtags hin. Vernommen wurde Elfriede Sauerwein-Braksiek, die Westfalen-Direktorin der Autobahn-GmbH des Bundes. Die 65-jährige Bauingenieurin arbeitete zuvor 35 Jahre lang für die Straßenbaugesellschaft des Landes.
Sie habe zwar monatlich mit dem früheren Verkehrsstaatssekretär Hendrik Schulte (parteilos) und halbjährlich auch mit Wüst persönlich konferiert, doch die Rahmedetalbrücke sei ihr gegenüber „nie erwähnt“ worden, erklärte Sauerwein-Braksiek. Auch die fachliche Entscheidung, ob ein Ersatzbau ohne das zeitaufwendige Planfeststellungsverfahren schneller hätte vorangetrieben werden können, werde „nicht in Ministerien getroffen“.
Sauerwein-Braksiek hatte nach ihrem Wechsel zur Autobahn-GmbH Ende 2021 über Nacht die spektakuläre Vollsperrung der Rahmedetalbrücke durchgesetzt. Eine Sonderuntersuchung per Laserscan-Verfahren hatte Beulen in Stahlträgern gezeigt. „Mit Blick auf Leib und Leben der Autobahnbenutzer und der Anwohner habe ich dann entschieden, die A45 umgehend sperren zu lassen“, rechtfertigte sie am Montag noch einmal den weitreichenden Schritt.
Die Baufälligkeit der Rahmedetalbrücke ist lange nicht in der vollen Dramatik gesehen worden
Der Untersuchungsausschuss des Landtags geht seit zweieinhalb Jahren der Frage nach, ob der heutige Ministerpräsident Wüst in seiner Zeit als Verkehrsminister (2017 – 2021) den Brückenersatzbauten zu wenig Beachtung geschenkt oder andere politische Lieblingsprojekte bevorzugt haben könnte. Nach Sauerwein-Braksieks Aussage bleibt für diese These der Opposition jedoch nur noch wenig Raum.
Die Ingenieurin dürfte keine übermäßige Loyalität zu Wüst verspüren, seit dieser sie 2019 mit der Berufung eines Co-Geschäftsführers entmachtet hatte. Doch seine Einflussnahme auf den damals auch für Autobahnen zuständigen Landesbetrieb Straßen.NRW habe sich im üblichen Rahmen „politischer Leitthemen“ bewegt, versicherte Sauerwein-Braksiek. Wüst seien Ortsumgehungen, Radwege und der Erhalt von Landesstraßen besonders wichtig gewesen.
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Dass die Baufälligkeit der Rahmedetalbrücke lange nicht in der vollen Dramatik gesehen wurde, machte die Zeugin eher an den regional verantwortlichen Ingenieuren fest. „Es ist ja immer mal dran gearbeitet worden, aber nicht ausreichend und nicht konsequent genug aus heutiger Aktenlage.“
Allerdings müsse man sich bewusst machen, dass allein die A45 über 60 große Talbrücken, 123 weitere Brücke und 80 Überführungsbauwerk verfüge. Das Straßennetz in NRW umfasse 20.000 Kilometer, darunter 2200 Kilometer Autobahnen und rund 13.000 Bauwerken. Das in den 1960er Jahren konzipierte Autobahnnetz sei nie ausreichend ertüchtigt worden. Es gebe eine „technische Last der Vergangenheit, die jeden Tag drückender und akuter wird“, erklärte Sauerwein-Braksiek.
Erst ab Brückennote 3,5 besteht akuter Handlungsbedarf
Anhaltspunkte für Neubau und Erhaltung bleiben deshalb die regelmäßigen Überprüfungsberichte. Die Rahmedetalbrücke wurde lange mit der Note 3,0 bewertet. Dringender Handlungsbedarf wird erst bei 3,5 gesehen. Noch 2017 seien „Standsicherheitsprobleme“ nicht erkannt worden.
„Das menschliche Handeln war aus heutiger Sicht der Fehler gewesen“, sagte Sauerwein-Braksiek – und offenbar nicht ein Ministerium, das Millionen lieber andernorts in Wahlkreisbeglückung stecken wollte. Wüsts Amtsvorgänger Michael Groschek (SPD) hatte aber womöglich den klareren Fokus auf den Erhalt der Autobahnbrücken, während Wüst ja wusste, dass die Zuständigkeit dafür 2020 auf die Autobahn-GmbH übergehen würde.
Groschek ließ 2014 eine „Projektgruppe A45“ aufstellen, die schnell entschied, die Rahmedetalbrücke ohne zeitaufwendiges Planfeststellungsverfahren neu zu bauen. Neben das marode alte Bauwerk sollte ein neues gesetzt werden. Doch daraus wurde fatalerweise nichts. „Zwischen 2018 und 2020 wurden in der Projektgruppe A45 andere, dringender erscheinende Brückenbauprojekte vorrangig in Angriff genommen“, erklärte Sauerwein-Braksiek.
Doch auch da hatte wohl nicht Wüst seine Finger im Spiel. Vielmehr waren die Ingenieure zur Überzeugung gelangt, dass die Rahmedetalbrücke in den sechsspurigen A45-Ausbau eingebettet werden muss und doch ein umfangreiches Baurechtsverfahren nötig sein würde. Sonst wäre man an Anwohnerrechten und Umweltbelangen gescheitert.
Brückeninstandhaltung? „Wir bewegen uns in der Mangelverwaltung“
So bleibt allenfalls ein systemisches Versagen, zu dem viele Verkehrspolitiker in Land und Bund seit Jahren beitragen. „Dem Landesbetrieb Straßen.NRW stand nur eine bestimmte Ressource an Mitteln und Personal zur Verfügung, um ein in Teilen marodes Netz zu sichern. Die Ressourcen waren erhöht worden, aber nicht ausreichend, um alle Aufgaben in der wünschenswerten Zeit zu erfüllen“, so Sauerwein-Braksiek.
Im Mai 2023 wurde die Rahmedetalbrücke gesprengt. Nächste Woche feiert der Neubau „Stahl-Hochzeit“. Kann ein solches „Brückendesaster“ in NRW wieder passieren? Sauerwein-Braksiek sparte nicht mit Realismus: „Wir bewegen uns im Bereich der Brückenverwaltung und -instandhaltung auch nach Gründung der Autobahn-GmbH in einem Bereich der – entschuldigen Sie das harte Wort – Mangelverwaltung.“