Berlin. In einem internen Bericht kritisiert die Anti-Folter-Stelle die Unterbringung von Inhaftierten. Worum es bei den Vorwürfen geht.
Am 9. August des vergangenen Jahres bekommen die Justizbeamten in dem Gefängnis in Gablingen, Landkreis Augsburg, unangekündigten Besuch. Es ist das Team von der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Seit 2008 prüfen die Mitarbeitenden deutsche Haftanstalten, ihre Besuche sollen grausame und erniedrigende Behandlungen verhindern. Deutschland hat sich dazu mit einem Übereinkommen der Vereinten Nationen verpflichtet.
Was die Delegation im August in Gablingen erlebt, hält sie in einem 13 Seiten langen Bericht fest. Bisher ist das Dokument intern, es liegt unserer Redaktion vor. Und es lässt die JVA in Gablingen nicht gut aussehen.
weitere Videos
Vor allem für den Keller des Gefängnisses interessierte sich die Anti-Folter-Stelle. Dort sind die fünf „besonders gesicherten Hafträume“, kurz bgH. Es sind Zellen mit Wänden oft aus Fliesen oder Beton, es gibt keine Schränke, keine Tische – nichts, was verletzen kann. Die Toilette ist nur ein Loch im Boden.
Der Raum ist videoüberwacht. So schildert es jemand, der den Haftraum in Gablingen kennt. Gefangene kommen dorthin, wenn sie sich selbst oder andere gefährden – durch Gewalttaten oder Suizidversuche. Es ist das Klientel, das manchen Bediensteten viel Arbeit macht. Und einigen Angst.
Die Anti-Folter-Stelle hat „erhebliche Zweifel“, ob Unterbringung „verhältnismäßig“ ist
Nur bei psychischen Ausnahmezuständen dürfen Beamte Menschen in diese Hafträume sperren, zeitlich begrenzt. 40 Gefangene dokumentieren die Anti-Folter-Experten, in der Regel sind sie 24 Stunden inhaftiert. Ein Fall jedoch fällt auf, die Person soll seit elf Tagen isoliert sein. Obwohl „bereits zu Beginn der ruhige Zustand der Person“ in den Akten des Gefängnisses dokumentiert sei, wie der Bericht festhält. Die Anti-Folter-Stelle hat „erhebliche Zweifel“, ob solche Unterbringung „verhältnismäßig“ ist.
Nicht nur das. Noch etwas fällt den Fachleuten auf. Laut den Gefängnisakten sei „in fast allen Fällen“ angeordnet worden, dass die Inhaftierten nur eine Papierunterhose tragen dürfen. „Ohne eine weitere Begründung“, wie es die Experten festhalten. Und dies offenbar auch bei „längeren Unterbringungen“. Die Delegation habe beobachtet, dass die Papierunterwäsche „auch im Schambereich durchsichtig war“. Und: In acht Fällen waren die Inhaftierten laut den Gefängnisakten sogar komplett nackt, selbst ohne Papierunterhose. Das sei „unverhältnismäßig“ und eine „Verletzung der Menschenwürde“, hält der Anti-Folter-Bericht fest.
- Vermisstenfall: Rebecca Reusch – „Nicht auszuschließen, dass die Familie die Wahrheit kennt“
- Entführung: Fall Josef Fritzl – Was ist aus der Tochter geworden?
- International gesucht: Das sind die fünf gefährlichsten Frauen der Welt
- Kriminologe: An diesem Detail scheitern die meisten Cold-Case-Ermittler
- Verbrechen: Die drei spektakulärsten Gefängnisausbrüche aller Zeiten
Missachtung der Grundrechte in einem deutschen Gefängnis? Nur wenige Wochen nach dem Besuch der Delegation nimmt die Staatsanwaltschaft Augsburg Ermittlungen auf. Sie geht den Vorwürfen nach, dass Menschen splitternackt isoliert wurden. Und noch ein Verdacht steht im Raum: Bedienstete sollen einzelne Gefangene geschlagen haben. Eine frühere Anstaltsärztin, vor allem aber einzelne Gefangene, haben schwere Vorwürfe erhoben. Es ist der womöglich größte bayerische Justizskandal der Nachkriegszeit.
Wurden die Fachleute der Anti-Folter-Stelle bei dem Besuch in Gablingen getäuscht?
Zu den aktuell 17 Beschuldigten zählen die Leiterin des Gefängnisses und ihre Stellvertreterin; sie sind vom Dienst freigestellt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Staatsanwaltschaft verweist auf Nachfrage unserer Redaktion auf die laufenden Ermittlungen. Die Staatsanwälte sollen laut bayerischen Landesbehörden auch die Vorwürfe prüfen, ob das Team der Anti-Folter-Stelle bei dem Besuch im August in Gablingen bewusst getäuscht worden seien – etwa weil Informationen vorenthalten wurden oder bessere Behandlung der Gefangenen und Ausstattung der Hafträume inszeniert wurde. Auch dazu läuft das Verfahren noch.
Als die Anti-Folter-Experten die JVA besuchen, gibt es noch keine Schlagzeilen wie „Guantanmo Gablingen“. Laut dem Bericht fällt dem Team noch etwas im Keller auf. Gefangene in den besonders gesicherten Hafträumen würden teilweise „hinter Glasfassade“ untergebracht sein, durch die sie „durch den Vorraum heraus beobachtet werden können“. Dazu eine Kameraüberwachung, die auch den Toilettenbereich „unverpixelt“ darstelle. Kritik übten die Fachleute dem Bericht zufolge auch an der mangelnden Ausstattung der Einzelhaftzellen mit Matratzen.
weitere Videos
Die bayerische Landesregierung steht im Visier massiver Kritik
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen das Personal der JVA sprach Justizminister Georg Eisenreich (CSU) von „gravierenden Vorwürfen“. Und die Landesregierung steht selbst im Visier massiver Kritik. Schon im Herbst 2023 hatte die frühere Anstaltsärztin das Fachreferat im Ministerium über die mutmaßlichen Vorgänge in Gablingen informiert. Laut Justizministerium habe man die Vorwürfe „umgehend“ intern geprüft. Die Staatsanwaltschaft leitete damals Vorermittlungen ein. Doch offenbar fand man nicht genug Hinweise für Durchsuchungen.
Das bayerische Justizministerium reagierte auf den Bericht der Anti-Folter-Stelle. Auf 18 Seiten nimmt die Landesregierung Stellung. Auch das Dokument liegt unserer Redaktion vor. An mehreren Stellen verweist das Ministerium auf die laufenden Ermittlungen. Bayerns Justizminister hatte zuletzt eine „interdisziplinäre Kommission für grundrechtsrelevante Fragen bei der Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen“ eingesetzt. Die Kommission soll etwa rechtlich und ethisch bewerten, wie eine bessere Balance zwischen Grundrechten und Schutzmaßnahmen gefunden werden kann.
Ministerium: Gefangene beißen Wunden durch Selbstverletzung wieder auf
Das Ministerium hat nach eigenen Angaben auf einzelne Empfehlungen der Anti-Folter-Stelle reagiert, und etwa „blickdichte“ Unterwäsche für alle bayerischen Gefängnisse bestellt. Zugleich hält die Behörde fest, dass es im Einzelfall notwendig sei, Gefangene komplett auszuziehen. Kleidung werde „immer wieder missbraucht“, etwa wenn Inhaftierte sie nass machen und die Kamera in der Zelle verkleben würden. In einzelnen Fällen sei versucht worden, sich mit Kleidung zu ersticken oder zu strangulieren. „Verbergen sich Gefangene unter der Matratze oder Decke“, bestehe das Risiko, dass Gefangene Wunden durch Selbstverletzung „wieder aufbeißen oder aufreißen“.
Was die Landesregierung nach eigenen Angaben verbessert, sind die Dokumentationen. Anstalten sollen besser erfassen, welche Personen in die isolierten Hafträume kommen, aus welchen Gründen und wie lange. An den bestehenden Dokumentationspflichten hatten Fachleute Kritik geübt. Eisenreich begrüßte zuletzt auch den Vorschlag der Anti-Folter-Stelle, dass nur ein Richter die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen ab einer gewissen Dauer anordnen kann.

2022 hatten Fachleute der nationale Anti-Folter-Stelle Gablingen schon einmal besucht. Damals machten die Kontrolleure laut Bericht durchaus „positive Beobachtungen“, etwa die Turnhalle, das Werkstattgebäude. Doch schon damals fällt den Menschenrechtlern auf, dass es in den „besonders gesicherten Hafträumen“ keine Sitzmöglichkeiten gebe, nur die Matratzen. Die Experten machten damals eine Reihe von Empfehlungen, so wie auch jetzt wieder. Nur stellten die Kontrolleure im August 2024 auch fest, dass Empfehlungen aus dem ersten Besuch „immer noch nicht umgesetzt waren“.
Lesen Sie auch: Islamisten in Haft: Mit Rollenspiel gegen radikale Ideologie