Düsseldorf. Sprachprobleme und vieles mehr: Schuleingangsuntersuchungen in NRW zeigen einen erschreckenden Befund. So stehen die Chancen, es zu bessern.

Die mangelnde Schulreife vieler Kinder in Nordrhein-Westfalen ist zum Riesenproblem vieler Bildungskarrieren geworden. Die schwarz-grüne Landesregierung will ab Herbst mit neuen „Sprachstand-Screenings“ gegensteuern. In dieser Woche diskutiert eine Expertenanhörung im Landtag, wie sich der Übergang von der Kita zur Grundschule insgesamt verbessern ließen.

Wie groß ist das Problem der mangelnden Schulreife?

In NRW zeigen bei der obligatorischen Schuleingangsuntersuchung immer mehr Kinder sozial-emotionale, motorische und sprachliche Defizite. Landesweit wurden im Jahr 2023 knapp 5700 Zurückstellungen ausgesprochen. Das bedeutete seit 2019 (rund 3200 Zurückstellungen) einen starken Zuwachs.

Sind mangelnde Deutschkenntnisse das Haupthindernis für eine altersgemäße Einschulung?

In Gelsenkirchen haben zum Schuljahr 2023/2024 rund 90 Prozent der wechselnden Kita-Kinder bei der Schuleingangsuntersuchung Defizite aufgezeigt – im Fokus stand dabei die Sprache. Landesweit weist inzwischen fast ein Drittel aller untersuchten Fünf- und Sechsjährigen einen Mangel in der deutschen Sprachkompetenz auf.

Vor allem in den NRW-Großstädten ist die Ausgangslage für das Schulleben schwierig: In Köln wurde zuletzt etwa bei der Hälfte aller Erstklässler ein auffälliger Befund bei der Sprachentwicklung diagnostiziert. Der Anteil der Kölner Grundschulkinder, die bereits die erste Klasse wiederholen mussten, hat sich auf 8,5 Prozent stark erhöht.

Sprache als Schlüsselkompetenz für späteren Lernerfolg

Welche Rolle spielt der Migrationshintergrund vieler Kinder?

Eine große. Sprache bleibt die Schlüsselkompetenz für späteren Lernerfolg. In NRW liegt der Anteil der Kita-Kinder, die zu Hause nicht überwiegend deutsch sprechen, im Schnitt bei rund 30 Prozent. Obwohl auch immer mehr Kinder aus bildungsfernen Familien deutscher Herkunft große Nachteile haben, ist für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen der Einstieg in die Schullaufbahn eine ganz besondere Herausforderung.

Wie steuert die Landesregierung gegen?

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) bereitet ein „systematisches Sprachstand-Screening“ für die Grundschulanmeldung vor. Ab Herbst 2025 soll es landesweit starten. Zurzeit läuft ein Pilotversuch mit 130 Schulen. Es soll im Zusammenspiel von Lehrkräften und Kita-Personal schon vor der Einschulung ermittelt werden, mit welchen Sprachkompetenzen die Kinder in die Schulen kommen und welchen Förderbedarf sie haben.

Was folgt aus den neuen Sprachscreenings in NRW?

Das Schulministerium stellt den Grundschulen für die Anmeldung von Kita-Kindern ein digitales Tool zur Verfügung, das sprachliche Kompetenzen systematisch erfasst und auswertet. Das Programm zeigt, an welchen Stellen die Kinder Unterstützungsbedarf aufweisen und bietet passgenaue Übungen an.

Experten favorisieren eher eine ganzheitliche Förderung etwa über die bereits bestehenden Familienzentren. „Auch niedrigschwellige Angebote wie Sprachkurse für Eltern mit Einwanderungsgeschichte können ein hilfreicher Schritt sein, um die Sprachförderung auch im familiären Kontext zu stärken“, rät der Sozialdienst katholischer Männer (SKM) in Köln.

Sprachscreening soll schon bei Vierjährigen Defizite feststellen

Warum muss die Früherkennung von sprachlichen Defiziten verbessert werden?

Wenn NRW seine notorisch schlechten Plätze bei Bildungsranglisten verlassen will, muss an den Startbedingungen für Bildungskarrieren gearbeitet werden. Das Forschungs- und Entwicklungsinstitut „Pädquis“ verweist darauf, „dass die frühen sprachlichen Kompetenzen der Kinder sowohl für die weitere Sprach- als auch die Schriftsprachentwicklung und somit für die gesamte weitere Schullaufbahn und gesellschaftliche Teilhabe bedeutsam sind“. Es nütze aber nichts, Defizite nur festzustellen. Vielmehr gehe es um personelle und finanzielle Ressourcen, um die Kitas in der sprachlichen Bildungsarbeit zu unterstützen.

Was fordert die Opposition?

Die FDP-Opposition im Landtag fordert, dass Schulministerin Feller das neue Sprachscreening im Rahmen des Einschulungsprozesses vorzieht, damit Förderbedarf schon bei Vierjährigen festgestellt werden kann. Nur so ließen sich Sprachförderpläne für Kitas und Elternhäuser erstellen, um die Kinder fit für die Einschulung zu machen.

Welche guten Praxisbeispiele gibt es?

Die Bonner Kettelerschule hat in Kooperation mit der Universität Köln schon vor Jahren ein Vorschulprojekt entwickelt. Im Halbjahr vor der Einschulung besuchen dabei Kita-Kinder zweimal wöchentlich die Schule und werden dort spielerisch in Deutsch und Mathe gefördert. Sponsoren machen dieses Extra-Angebot möglich. Die Kettelerschule hält ein verpflichtendes Vorschuljahr in NRW für sinnvoll, das auch mit verpflichtenden Deutschkursen für die Eltern kombiniert werden müsse. Auch der Kita-Träger Fröbel, der in NRW 80 Kindertageseinrichtungen und Familienzentren betreibt, spricht sich für ein verpflichtendes Vorschuljahr für eine gezielte Sprachförderung aus. Allerdings ginge das wohl nur, wenn das Land die hoffnungslos unterfinanzierten Kitas finanziell besser ausstattet oder gleich Grundschulen räumlich und personell in die Lage versetzen würde, ein verpflichtende Vorschule für Kita-Kinder mit Förderbedarf zu organisieren.

Was kann NRW von anderen Bundesländern lernen?

Die Experten sehen in anderen Bundesländern vereinzelt gute Beispiel für den Übergang von der Kita zur Grundschule, die sich NRW genauer ansehen könnte. „Ein Meilenstein in der kindlichen Kompetenzfeststellung“ sei in Brandenburg das Projekt MiKa, was für „Meine Kompetenzen auf dem Weg zum Schulanfang“ steht. Auch das Projekt „First class fördern“ in Rheinland-Pfalz gilt als sinnvoll. Hier werden künftig bei allen viereinhalbjährigen Kindern Tests durchgeführt, 350 Kitas „in herausfordernder Lage“ bekommen zusätzliche Mittel für Sprachbeauftragte. Auch in Hamburg werden, anders als in NRW, bereits alle viereinhalbjährigen Kinder an künftigen Grundschulen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Wird ein hoher Sprachförderbedarf festgestellt, soll ein Förderkonzept greifen.