Berlin. Unpünktliche Züge, marode Strecken: Die Bahn ist in einem beklagenswerten Zustand. Würde eine Zerschlagung helfen? Diese Ideen kursieren.
Der bald scheidende Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos) zeigt sich derzeit entspannt. Seit er die Fesseln der liberalen Parteipolitik durch Austritt abgelegt hat, kann er auch andere Positionen vertreten, etwa bei der Bahn. An Selbstlob spart er dabei nicht. „Wir haben geliefert“ stellt er mit Blick auf seine Bilanz fest und schließt den umstrittenen Bahnchef Richard Lutz dabei ausdrücklich ein. Das laufende Sanierungsprogramm S3 beim Konzern sei gemeinsam entwickelt worden. Bis 2027 soll die Bahn damit wirtschaftlich und betrieblich wieder auf Vordermann gebracht werden.
Der Blick auf die Gegenwart verdeutlicht den Sanierungsbedarf. Im Fernverkehr hat die Bahn mit einer Pünktlichkeit von nur noch 62,5 Prozent im vergangenen Jahr einen Negativrekord hingelegt. Mehr als zehn Millionen Fahrgäste gingen dort verloren und die Sparte fuhr einen Verlust ein. Allein ein dreistelliger Millionenbetrag ging für Entschädigungen der Kunden drauf.
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Deutsche Bahn: Nur der Regionalverkehr kann noch Gewinne beisteuern
Noch viel schlechter steht der Güterverkehr da. Wenn im März die Konzernbilanz veröffentlicht wird, dürfte Cargo erneut ein riesiges Minus ausweisen. Nur der Regionalverkehr kann dem Vernehmen nach noch Gewinne beisteuern. Der größte Gewinnbringer, die Spedition Schenker, fällt nach dem Verkauf künftig als Geldquelle aus. Beim zweiten großen Sorgenkind, der Infrastruktur, gibt es immerhin einen Lichtblick. Die erste Generalsanierung eines stark befahrenen Korridors hat mit der Riedbahn weitgehend geklappt. Das war auch ein Vorzeigeprojekt Wissings. 40 weitere Strecken sollen nach diesem Vorbild bis 2023 modernisiert werden.
Der Minister hat tatsächlich einiges bei der Bahn bewegt. Er hat zumindest einen großen Teil der vielen Milliarden für eine Sanierung der Trassen besorgt und lässt die Bahn aus seinem Haus stärker steuern als es frühere Minister taten. Ein wichtiges Ziel konnte er nicht mehr erreichen: Wie auch die Branche will Wissing über einen Infrastrukturfonds für zehn Jahre die Investitionsmittel für die Sanierung der Verkehrswege aus den jährlichen Haushaltsverhandlungen herauslösen und eine stetige Modernisierung ermöglichen.
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Bahn: Droht die Zerschlagung?
Doch letzteres wird wohl wie noch weitere wichtige Aufgaben auf dem Schreibtisch seines Nachfolgers landen. Es könnten dabei je nach Wahlergebnis weitere turbulente Zeiten auf den Bahnkonzern zukommen. Drastische Vorstellungen der künftigen Bahnpolitik finden sich bei der FDP. „Wir Freie Demokraten wollen Infrastruktur und Bahnbetrieb trennen und den Betrieb privatisieren“, kündigen die Liberalen an. Das wäre die völlige Zerschlagung des Konzern.
Die Union äußert sich vorsichtiger. „Für mehr Wettbewerb müssen Infrastruktur- und Transportbereich stärker als bisher voneinander getrennt werden“. Kanzlerkandidat Friedrich Merz will die Trennung von Netz und Betrieb durchsetzen, wobei das Netz in eine bundeseigene GmbH überführt werden könnte.
Das wäre eine radikalere Lösung als das, was die Ampel machte. Wissing hat das Netz und die Bahnhöfe in der gemeinwohlorientierten Gesellschaft InfraGO zusammengefasst. Allerdings steht die Sparte weiterhin unter der Kontrolle des Bahnvorstands. Einen echten Fortschritt können die Wettbewerber des Staatskonzerns deshalb nicht erkennen. „Nichts ist besser geworden“, sagt eine Sprecherin des Verbands Die Güterbahnen.
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Wissing kritisiert Zerschlagungspläne scharf
Eine Zerschlagung lehnt Wissing dennoch ab. „Ich sehe hierin keinen Weg“, hatte er unlängst verkündet, „es würde gigantische Kräfte binden“. Am Montag legte der Verkehrsminister nach: „Die Forderung nach der Zerschlagung der Bahn ist ein weiteres Beispiel dafür, wie den Menschen derzeit vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme versprochen werden“, schimpfte Wissing gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Statt auf das Organigramm, sollten sich daher alle darauf konzentrieren, das Sanierungsprogramm weiter konsequent durchzuziehen. Denn der Kern des Problems liegt in der über die letzten Jahrzehnte kaputtgesparten Infrastruktur.“
Mit dieser Meinung steht der Minister nicht alleine. Vor allem die SPD lehnt eine Aufspaltung der Bahn ab. Schützenhilfe erhält die Partei von der großen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Am Montag will die Gewerkschaft mit einer Großdemonstration vor dem Konzernzentrale ihren Protest gegen eine möglich Zerschlagung kundgeben. Die Grünen äußern sich in ihrem Wahlprogramm nicht zur Frage der Konzernstruktur. Die AfD will die Bahn in eine GmbH umwandeln und die Infrastruktur durch den Staat wirksam steuern lassen. Auch das BSW und die Linke sehen die Bahn als Teil der Daseinsvorsorge.
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Bahnvorstand ist gegen eine Zerschlagung
Auch der Bahnvorstand will es beim integrierten Konzern belassen. Bahnchef Lutz sieht für die neue Regierung vor allem eine politische Aufgabe. „Es muss einen Konsens geben, wieviel Bahn wir haben wollen“, sagt er. Einigkeit über Parteigrenzen hinweg gibt es schon in wichtigen Fragen. Dazu gehört eine langfristige Finanzierung, mit der die Sanierung des Netzes vorangetrieben werden kann. Auch am Deutschlandticket wollen nur wenige rütteln. Über die Ausgestaltung und den Preise gehen die Auffassungen aber auseinander. Die Erfahrungen aus anderen Ländern sprechen auch nicht gerade für eine Trennung von Netz und Betrieb. In England ist dieser Versuch völlig aus dem Gleis geraten.
Erst einmal muss die künftige Regierung ein großes Problem lösen. Die Trassenpreise, also die Gebühren für die Nutzung der Gleise, explodieren für den Güter- und den Fernverkehr. Das liegt an komplizierten rechtlichen Regelungen bei der Erhöhung des Eigenkapitals der Bahn durch den Bund. Die Folgen könnten dramatisch sein. Die Güterbahnen verlieren Kunden an den Straßenverkehr, der Fernverkehr droht mit der Ausdünnung der Takte im gesamten Land. Auf die Bahn kommen also weitere spannende Zeiten zu.
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