Düsseldorf. Die NRW-CDU huldigt Altkanzlerin Merkel. Die nutzt einen Aufritt zu Aussagen über Trump und ihren möglichen Nach-Nachfolger Merz.

Als Angela Merkel am Samstagmittag um kurz nach zwölf in einer Terminalhalle am Düsseldorfer Flughafenbahnhof die Bühne betritt, wirkt sie freudig überrascht: „So eine schöne Begrüßung hatte ich schon lange nicht mehr.“

Die Altkanzlerin ist an diesem Vormittag Starrednerin des Neujahrsempfangs der NRW-CDU. Rund 1300 Gäste sind gekommen. Sie klatschen rhythmisch zu wummernden Bässen, als Merkel an der Seite von Ministerpräsident Hendrik Wüst Einzug hält. In einem Einspielfilm, der wegen des Veranstaltungsortes jede denkbare Luftfahrt-Metapher quält, wird die 70-Jährige als „herausragende Kapitänin der CDU-Geschichte“ gefeiert.

Der Kölner Jugendchor Sankt Stephan singt anschließend Leonard Cohens „Halleluja“ und hat zwischen Weihnachten und Neujahr extra noch Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ einstudiert – ein Titel, den sich die Altkanzlerin 2021 zum Amtsabschied beim Großen Zapfenstreich gewünscht hatte. Später wird noch das berühmte „Rautenplakat“ an die Digitalwand des Düsseldorfer Terminals geworfen, mit dem Merkel 2013 fast die absolute Mehrheit gewonnen hätte.

Merkel handelt Merz mit einem Satz ab

Mehr Ehrerbietung geht nicht. So ähnlich hat Wüst das schon einmal vor anderthalb Jahren inszeniert, als er der Ostdeutschen Merkel den eigentlich für nordrhein-westfälische Persönlichkeiten vorgesehenen Staatspreis verliehen hat. Doch diesmal sind es nur noch fünf Wochen bis zur Bundestagswahl, die eigentlich einen Mann ins Amt tragen soll, der die Union maximal entmerkelt hat: ihren alten Rivalen Friedrich Merz.

Es bleibt unklar, ob es Wüst mit der Veranstaltung um einen Kommentar zur Kursdebatte der Union geht. Der früher selbst konservativ verortete Ministerpräsident positioniert sich längst in der mitfühlenden Mitte und weiß, dass Merkels bescheidener Pragmatismus gerade in NRW bis heute deutlich populärer ist als der Traum von einem „Law-and-Order-Deutschland“ mit Leitkultur und wirtschaftspolitischer Rosskur.

Messlatte für Merz? Beim CDU-Neujahresempfang wurde demonstrativ das berühmte „Rautenplakat“ an die Wand geworfen, mit dem Merkel 2013 fast die absolute Mehrheit geholt hätte.
Messlatte für Merz? Beim CDU-Neujahresempfang wurde demonstrativ das berühmte „Rautenplakat“ an die Wand geworfen, mit dem Merkel 2013 fast die absolute Mehrheit geholt hätte. © dpa | Roberto Pfeil

Wüst regiert seit zweieinhalb Jahren mit den in weiten Teil der Union verhassten Grünen und wird trotz schlechter Lage in NRW immer populärer. In der ersten Reihe wird am Samstag die grüne Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur platziert. Will Wüst mit der nächsten großen Merkel-Hommage schon mal Distanz zwischen sich und einen Kanzler Merz bringen, der angesichts der Problembergs in den kommenden Jahren keine Schönwetter-Koalition in Berlin anführen dürfte? Die Tonalität dürfte jedenfalls eine andere sein als beim Weißwurst-Frühshoppen von Merz und CSU-Chef Markus Söder, der am Sonntag im Sauerland ansteht.

Merkel wirkt ernsthaft besorgt über den Zustand der Demokratie

Oder soll Merkel als Referenzrahmen für ihren Nach-Nachfolger Merz ausgestellt werden? Vielleicht geht es auch darum, Wüst als personifizierte Versöhnung von Merz-CDU und Merkel-CDU perspektivisch anzubieten. In seiner Rede hält er sich jedenfalls schadlos. „Deutschland braucht einen Bundeskanzler, der dafür sorgt, dass Deutschland seiner Verantwortung in Europa und in der Welt auch gerecht wird. Auch darum geht es bei der Bundestagswahl und ich bin der festen Überzeugung, nur Friedrich Merz ist der Richtige für diese Aufgabe“, sagt der Ministerpräsident.

Zugleich redet Wüst die zahlreichen Versäumnisse der langen Merkel-Regierungsjahre offensiv klein: „Ja, viele Probleme in unserem Land sind hausgemacht und nicht erst in den letzten drei Jahren.“ Aber in Zeiten von Finanzkrise, Weltwirtschaftskrise, Migrationskrise und Corona-Krise habe man eben „zwangsläufig scharf priorisieren“ müssen.

Auch Merkels Politik der offenen Grenzen im Flüchtlingssommer 2015, unter der die NRW-Kommunen bis heute ächzen, wird nur indirekt und freundlich gestreift. „Egal, wo diese Kinder herkommen, in welchem Alter sie kommen: Jedes dieser Kinder, egal welcher Religion es angehört, welche Bildung die Eltern haben, ist eine Riesenchance für dieses Land. Es sind alles unsere Kinder“, sagt Wüst.

Alte Bekannte beim Neujahrsempfang: Angela Merkel neben Hendrik Wüst und dessen Amtsvorgänger Armin Laschet.
Alte Bekannte beim Neujahrsempfang: Angela Merkel neben Hendrik Wüst und dessen Amtsvorgänger Armin Laschet. © dpa | Roberto Pfeil

Merkel selbst weiß natürlich, dass jeder Halbsatz von ihr an diesem Vormittag daraufhin abgeklopft wird, ob sie sich von Merz und dem konservativen Wahlprogramm der Union distanziert. Sie sagt deshalb gleich zu Beginn in einem einzigen Satz das Mindeste, was die Partei, der sie 18 Jahre lang vorstand, von ihr erwarten kann: „Auch wenn ich nicht mehr aktiv in diesem Wahlkampf tätig bin, dann wünsche ich natürlich der CDU, allen Kandidatinnen und Kandidaten, das Allerbeste, dass die Christlich-Demokratische Union zusammen mit der CSU stärkste politische Kraft in Deutschland wird und dass Friedrich Merz dadurch das Mandat erhält, Bundeskanzler der Bundesrepublik zu werden.“ Ende der Durchsage.

Merkel spricht über ihre Erfahrungen mit Trump

Interessant wird es, als Merkel zwei Tage vor der zweiten Amtseinführung von Donald Trump ihre eigenen Erfahrungen mit diesem „besonderen Präsidenten“ schildert. Anders als sie selbst glaube Trump in internationalen Fragen nicht an „Win-win-Situationen“, sondern nur an die Kategorie Sieger und Verlierer. Trotzdem solle sich Europa nicht kleinmachen. „Wir werden Donald Trump nicht ändern, aber wir dürfen darauf reagieren“, so Merkel. Die EU solle geeint auftreten, da auch die USA unter Trump Partner in der Welt bräuchten. Ohne die USA wiederum kann sich die Altkanzlerin keinen Frieden in der Ukraine vorstellen, die diese als selbstständigen Staat bestehen lässt.

In weiten Teilen ihrer gut halbstündigen Rede wälzt Merkel eher staatsphilosophische Gedanken und wirkt ernsthaft besorgt. Im Grundgesetz stehe zwar, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Was aber passiert, wenn sich nur noch ein Teil der Bürger als „das Volk“ definiert und für die eigene Unzufriedenheit oder auch das eigene Unvermögen „den Staat“ oder „Eliten“ aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien verantwortlich macht? Wohin führt es, wenn im Grundgesetz zwar niedergelegt ist, dass Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, tatsächlich aber soziale Netzwerke in den Händen weniger US-Milliardäre ohne jede rechtliche Kontrolle das Meinungsklima demokratischer Gesellschaften prägen?

Es sei wieder die Zeit, „Farbe zu bekennen“, schärft Merkel dem Publikum ein. Die Leute müssten wieder mitmachen wollen. Am Ende kokettiert die Altkanzlerin sogar mit dem umstrittensten Zitat ihrer Karriere: „Sonst werden wir das, um ein Wort aus meinem Vokabular zu gebrauchen: nicht schaffen.“