Berlin/Damaskus. Annalena Baerbock versuchte die Aufregung um den verweigerten Handschlag herunterzuspielen. Nun bekommt die Debatte einen neuen Anstoß.
Neuer Wirbel um den Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Syrien. Der syrische Telegram-Kanal „Almharar“ verbreitete Bilder, auf denen die Grünen-Politikerin unkenntlich gemacht wurde. In Medienberichten hieß es zunächst einhellig, der Kanal würde der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) nahestehen.
Das stimmt aber nicht. Der Kanal hat keine Verbindungen zur HTS. Die Aussage, dass Syrien beziehungsweise die Führung in Damaskus die Bilder zensiert habe, ist also falsch. Neben Baerbock waren auch Dolmetscherinnen, die an dem Treffen teilnahmen, unkenntlich gemacht worden.
Die HTS ist eine syrische Rebellenmiliz, die Anfang Dezember eine wichtige Rolle beim Sturz des Assad-Regimes gespielt hatte. Auch der neue syrische Machthaber al-Scharaa gehört dieser an.
Laut Selbstbeschreibung handelt es sich bei „Almharar“ um den „offiziellen Kanal des Nachrichtennetzwerks Freies Syrien“. Bis kurz vor dem Sturz des Assad-Regimes durch die HTS im Dezember, habe der Name noch „Nachrichtennetzwerk Befreiter Norden“ gelautet, erklärte der deutsch-schweizerische Islamwissenschaftler Reinhard Schulze der „Deutschen Welle“.
Die Bilder waren beim Besuch der Außenministerin bei al-Scharaa entstanden. Dieser hatte Baerbock nicht per Handschlag begrüßt, was in den vergangenen Tagen für Debatten sorgte.
Baerbock hatte nicht mit Handschlag gerechnet
„Es lebe die feministische Außenpolitik!“, spottete unter anderem AfD-Chefin Alice Weidel. Baerbock selbst, die bei der Begegnung kein Kopftuch trug, hatte erklärt, ihr sei bereits bei der Ankunft klar gewesen, dass es keinen Handschlag geben werde. In dem Gespräch mit al-Scharaa habe sie aber sehr deutlich gemacht, dass Frauenrechte ein Gradmesser dafür seien, wie frei eine Gesellschaft sei. Aus Delegationskreisen war zu hören, dass al-Scharaa am Ende des Gesprächs noch mal die Hand ausgestreckt habe, es dann aber nicht mehr zu einem Handschlag gekommen sei.
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Inzwischen hat sich der französische Außenminister Jean-Noël Barrot zu dem verweigerten Handschlag geäußert. Er hätte es befürwortet, wenn al-Scharaa Baerbock die Hand gereicht hätte, sagte Barrot am Sonntag dem französischen Radiosender RTL. Ihm hatte al-Scharaa bei dem gemeinsamen Besuch die Hand gereicht.
„Wäre es mir lieber gewesen, wenn Ahmed al-Scharaa meiner deutschen Kollegin die Hand geschüttelt hätte? Die Antwort lautet Ja. War das der Zweck dieser Reise? Die Antwort ist Nein“, sagte Barrot. Entscheidend seien andere Themen, etwa der Umgang mit zehntausenden IS-Anhängern, die in Gefängnissen im Nordosten Syriens inhaftiert sind, sowie das Chemiewaffenarsenal der gestürzten Regierung von Ex-Machthaber Baschar al-Assad.
Ist das Verhalten des Islamisten al-Scharaa, der neuerdings statt Militäruniform Anzug trägt, ein Ausdruck der Respektlosigkeit gegenüber der Grünen-Politikerin und seiner Frauenfeindlichkeit generell? Darüber wird seitdem debattiert. Der Händedruck zwischen einem fremden Mann und einer fremden Frau ist in islamisch geprägten Gesellschaften unter Gläubigen unüblich – und aus Sicht mancher Rechtsgelehrter sogar verboten. Es gibt aber keine eindeutige Regel und keine dominierende, religiöse Sitte.
Baerbock stellt bei Besuch Bedingungen
Baerbock redete bei aller diplomatisch gebotenen Höflichkeit während ihres Besuchs öffentlich Klartext und stellte der neuen syrischen Führung klare Bedingungen für die Unterstützung Europas. „Es braucht jetzt einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, unter Einbeziehung aller Menschen, das heißt insbesondere auch der Frauen in diesem Land“, sagte sie. Europa werde Syrien unterstützen, aber nicht zum Geldgeber neuer islamistischer Strukturen werden.
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Die Skepsis erscheint vielen berechtigt: Al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die den Sturz von Langzeit-Herrscher Baschar al-Assad maßgeblich herbeigeführt hatte. Er war früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt. Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.