Athen. Erdogan hofft, dass viele Syrer in ihre Heimat zurückkehren. Für die türkische Wirtschaft könnte ein Massenexodus Probleme aufwerfen.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hofft, dass nach dem Sturz des Assad-Regimes möglichst viele syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Das würde Erdogan innenpolitisch helfen. Aber der türkischen Wirtschaft könnte ein Exodus Probleme bereiten. 

Noch ist es keine Massenbewegung. Aber die Zahlen steigen. Während seit Anfang 2024 pro Monat rund 11.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehrten, waren es nur in der Woche nach Assads Sturz Anfang Dezember etwa 20.000. Diese Zahlen nannte der türkische Innenminister Ali Yerlikaya. Präsident Erdogan sagte Mitte Dezember in Ankara, der Sturz Assads werde „den Weg zu Frieden und Sicherheit in Syrien ebnen“. Die Zahl der Rückkehrer werde weiter anwachsen, sobald der „Frieden gefestigt“ sei, so Erdogan. Um die Ausreise der syrischen Flüchtlinge zu erleichtern, gab Erdogan Weisung, zusätzlich zu den fünf bestehenden Grenzübergängen einen sechsten, der seit 2013 geschlossen war, zu öffnen. 

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Meine schwerste Entscheidung

Die Türkei beherbergte während des Bürgerkrieges im Nachbarland zeitweilig 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Anfangs wurden sie überwiegend freundlich aufgenommen. Aber inzwischen ist die Stimmung gekippt. In der aktuellen Wirtschaftskrise sehen viele Einheimische in den syrischen Flüchtlingen unwillkommene Konkurrenten im Wettbewerb um Arbeitsplätze, Wohnraum und Sozialleistungen. Die bürgerliche Oppositionspartei CHP schürte die Ressentiments gegen die Flüchtlinge systematisch und wurde damit bei den Kommunalwahlen im vergangenen Frühjahr landesweit stärkste Partei. 

Erdogan verhandelte bereits im Sommer mit Assad über eine Rückführung von Geflüchteten

Für Erdogan ist der innenpolitische Druck mit der damaligen Wahlniederlage gewachsen. Schon im Sommer versuchte er, mit Assad über eine Rückführung von Flüchtlingen zu verhandeln. Aber der syrische Machthaber zeigte ihm die kalte Schulter. Nun hofft Erdogan darauf, dass möglichst schnell möglichst viele Syrer in ihre Heimat zurückkehren. Einige Kommunen bieten jetzt „unseren syrischen Brüdern“ und „den hochgeschätzten Gästen“, wie es scheinheilig in den Bekanntmachungen heißt, kostenlose Bustransporte zum nächstgelegenen Grenzübergang an. 

In der Türkei lebende Syrer schieben am Grenzübergang Cilvegozu in Reyhanli einen mit Möbeln beladenen Wagen auf dem Weg zurück in ihr Land, nachdem der syrische Präsident abgesetzt wurde.
In der Türkei lebende Syrer schieben am Grenzübergang Cilvegozu in Reyhanli einen mit Möbeln beladenen Wagen auf dem Weg zurück in ihr Land, nachdem der syrische Präsident abgesetzt wurde. © AFP | Yasin Akgul

Aber für die türkische Wirtschaft könnte ein Massenexodus, wenn es denn dazu kommt, Probleme aufwerfen. Aktuell haben laut Innenminister Yerlikaya 2,93 Millionen Syrer Schutzstatus in der Türkei. Von ihnen gehen etwa 100.000 legal einer Arbeit nach, so die offiziellen Angaben. Tatsächlich dürfte die Zahl aber eher bei einer halben Million liegen. Vor allem in der Textilbranche, auf dem Bau, in der Gastronomie, im Handwerk und in kleineren Gewerbebetrieben arbeiten Hunderttausende Syrer schwarz zu Löhnen, die weit unter dem staatlich festgesetzten monatlichen Mindestlohn von umgerechnet 464 Euro brutto liegen. 

Eine Rückkehr der syrischen Arbeitskräfte würde zu höheren Produktionskosten führen, schrieb der Ökonom Mahfi Egilmez. Das wiederum würde die Inflation, die im November bei 47,1 Prozent lag, weiter anfachen, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Auswirkungen könnte es auch auf dem Immobilienmarkt geben. Zehntausende Syrer haben in den vergangenen Jahren Wohneigentum in der Türkei erworben. Wenn nun solche Immobilien in größerer Zahl auf den Markt kommen, dürfte das zu sinkenden Wohnungspreisen führen. Das wäre schlecht für die Baubranche, aber gut für viele Wohnungssuchende, die unter den hohen Preisen stöhnen. 

Ob wirklich eine große Rückwanderung einsetzt, ist aber fraglich. Die Infrastruktur in großen Teilen Syriens ist weitgehend zerstört. Hinzu kommen Sicherheitsrisiken durch andauernde Kämpfe rivalisierender Oppositionsgruppen. Ob und wann es der neuen Regierung in Damaskus gelingt, das Land wirklich zu befrieden und zu innerer Stabilität zu führen, bleibt vorerst ungewiss.