Düsseldorf. Eine Untersuchung unter Schülern und Lehrern zeigt die enorme Bedeutung des NRW-Islamunterrichts - aber auch verstörende Einstellungen.
Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz gegenüber Homosexualität sollen stärker im islamischen Religionsunterricht an den NRW-Schulen vermittelt werden. „In beiden Bereichen ist Aufklärung dringend notwendig“, sagte Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universität Münster, am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags. Fortbildungen für die Lehrkräfte und die stärkere Verankerung von gesellschaftspolitischen Fragen in den Lehrplänen seien wünschenswert.
Khorchide hat Einstellungen von Schülern und Lehrkräften im islamischen Religionsunterricht für die Landesregierung wissenschaftlich untersucht. Seine Studie soll im kommenden Jahr veröffentlicht werden. NRW hatte 2012 als erstes Bundesland einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht eingeführt. Heute besuchen ihn knapp 29.000 Schüler, die von insgesamt 271 Lehrkräften unterrichtet werden. Der Bedarf dürfte deutlich größer sein: Insgesamt gibt es in NRW mehr als 490.000 Kinder muslimischen Glaubens. An der Uni Münster werden seit über 14 Jahren Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet. Khorchides Studie basiert nun auf einer Stichprobe mit 353 Schülern ab der 8. Klasse und 60 Lehrkräften.
Islamische Religionslehrer konkurrieren heute mit TikTok-Predigern
Ein Zwischenfazit, das der Professor im Landtag zog, betont die Bedeutung des Unterrichtsangebots. Die Autorität des islamischen Religionslehrers konkurriere mit TikTok-Predigern und der lokalen Moscheegemeinde. „Je mehr die Schüler den islamischen Religionsunterricht besuchen, desto weniger fühlen sie sich von den digitalen Angeboten zum Thema Islam angesprochen“, so Khorchide.
Junge Muslime bezögen heute nicht nur ihr religiöses Wissen immer stärker aus den sozialen Medien, sondern auch ihre religiöse Identität. Hier brauche es den Religionsunterricht in staatlichen Schulen aus „Gegengewicht“. Auch Schulministerin Dorothee Feller (CDU) stellte klar, dass der Ausbau des Angebots hohe Bedeutung habe: „Es macht einen erheblichen Unterschied, ob religiöse Identitätsbildung in der Schule oder bei TikTok stattfindet.“
Khorchides Studie zeigt, dass der „Absolutheitsanspruch“ eines konservativ interpretierten Islam noch immer seine Wirkung bei Jugendlichen entfaltet. „Wir brauchen den Schwerpunkt ‚interreligiösen Dialog‘ im Religionsunterricht“, sagte der Professor. Eine nennenswerte Zahl der Schüler stimme der Aussage zu: „Nur in meiner Religion lässt sich Gott wirklich finden“. Das sei ein niedriger Mittelwert, „aber dennoch: Wir haben Zustimmungsraten hier“, so Khorchide.
Das traditionelle Rollenbild ist offenbar nur schwer zu durchbrechen
Auch das traditionelle Rollenbild scheint weiterhin seine Prägewirkung zu haben. So findet die Aussage „Der Mann ist in erster Linie für den Unterhalt der Familie verantwortlich“ sehr hohe Zustimmungswerte. Zumindest messbar bleibt die Zustimmung bei der Antwortmöglichkeit: „Wenn Frauen ihren Männern widersprechen, dann dürfen die Männer sie leicht schlagen.“
Khorchide ordnete diese Akzeptanz von körperlicher Züchtigung ein: „Das ist ein koranischer Vers, deswegen nehmen sie das so wortwörtlich, weil sie noch immer nicht sensibilisiert sind, historisch-kritisch das zu lesen.“ Verquere Weltbilder scheinen den Forscher nicht mal zu überraschen. „Erwartungsgemäß“ nannte Khorchide einen Mittelwert bei der Zustimmung zur Aussage: „Homosexualität ist eine Krankheit, die geheilt werden kann.“
Der Einfluss von TikTok-Predigten stehe „in einem signifikanten Zusammenhang mit diesen Einstellungen“, sagte der Professor. Deshalb sei es so wichtig, dass die Schule jungen Muslimen andere religiöse Autoritäten biete, die eine Gegenwelt eröffnen und zur kritischen Reflexion befähigen.
Gleichwohl verschweigt die Studie nicht, dass nicht mal alle Islamlehrer, die an NRW-Schulen unterrichten dürfen, zum Vorbild taugen. Es sei festzustellen, dass auch fünf bis zehn Prozent der Lehrkräfte eine stark konservative Auslegung des Islam verträten. Vor allem unter nicht grundständig ausgebildeten Lehrkräften sei diese Haltung verbreiteter.
So gibt es eine zwar geringe, aber deutlich messbare Zustimmung unter den Islamlehrern zur Zielvorstellung: „Meine Schüler zu befähigen, zu erkennen, dass sie, weil sie Muslime sind, besser als ihre Mitschüler sind.“ Oder zum Anspruch: „Meine Schüler zu unterstützen, Argumente gegen das Christentum zu formulieren.“
Grundsätzlich seien Lehrkräfte jedoch deutlich reformorientierter, als das Studien von anderen Glaubensbrüdern und -schwestern in Deutschland sagen. Sie seien damit in der übergroßen Zahl als Multiplikatoren für einen „weltoffenen und gewaltfreien Islam“ wichtig. Ministerin Feller stellte sich hinter den bekenntnisorientierten Unterricht: „Es ist unser Anspruch, Wertevermittlung und religiöse Identitätsbildung nicht der Beliebigkeit zu überlassen und damit Tür und Tor zu öffnen für den Einfluss von Hasspredigern, Fundamentalisten und religiösen Extremisten.“