Düsseldorf. Viel Feind, wenig Ehr‘: Die NRW-Parteien haben es schwer, Kandidaten für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Die CDU Ahlen war innovativ.

Viel Feind, wenig Ehr‘, jede Menge Fremdbestimmung und kaum noch finanzielle Gestaltungsspielräume: Für die Parteien in Nordrhein-Westfalen wird es immer komplizierter, qualifiziertes Personal für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Die CDU im münsterländischen Ahlen ist jetzt einen vielbeachteten anderen Weg gegangen. Sie fand eine Bürgermeister-Kandidatin per bundesweiter Stellenanzeige. Was es damit auf sich hat, erklärt der Stadtverbandsvorsitzende Peter Lehmann.

Wie ist es zur Idee gekommen, die Bürgermeister-Kandidatur per bundesweiter Stellenanzeige auszuschreiben?

Lehmann: Ausgangspunkt war Anfang September eine Krise, in die wir unerwartet gestürzt sind. Ahlens beliebter Bürgermeister Alexander Berger hat uns eröffnet, dass er nach zehn erfolgreichen Jahren im Amt leider aus Krankheitsgründen nicht erneut kandidieren kann. Da hatten wir als ehrenamtlicher CDU-Vorstand ein echtes Problem und mussten überlegen: Was machen wir jetzt?

Parteien sind sich oft selbst genug, viele Akteure kennen sich seit Jugendtagen und wollen keine Quereinsteiger, die vieles in Frage stellen. Wieso eine bundesweite Ausschreibung?

Lehmann: Gerade weil wir ein Team sind, das schon lange zusammen Kommunalpolitik macht, muss man aufpassen, dass man nicht in alten Reaktionsmustern gefangen ist. Impulse und frische Gedanken von außen sind enorm wichtig. Als unser Schatzmeister, der aus der Wirtschaft kommt, die Frage auf den Tisch brachte, ob wir nicht mal bundesweit über Job-Portale nach einer geeigneten Bürgermeister-Kandidatur suchen sollten, um den Bewerberkreis zu erweitern, waren wir schnell überzeugt. Ich hatte bloß die Sorge, dass eine solche Ausschreibung wenig Resonanz finden würde.

Peter Lehmann, Vorsitzender der CDU in der Stadt Ahlen.
Peter Lehmann, Vorsitzender der CDU in der Stadt Ahlen. © CDU Ahlen | CDU Ahlen

Warum?

Lehmann: Das Amt eines Bürgermeisters in einer Mittelstadt wie Ahlen mit knapp 55.000 Einwohnern ist unheimlich komplex. Man ist Verwaltungschef von 800 Mitarbeitern, zugleich öffentliche Person mit allerhand Repräsentationsaufgaben und politischer Akteur, der immer auf Mehrheiten im Rat angewiesen ist. Die Gestaltungsspielräume sind am Ende der Nahrungskette von europäischen, bundes- und landesgesetzlichen Entscheidungen außerdem eng.

Die Resonanz der Ausschreibung hat aber die kühnsten Erwartungen übertroffen, oder?

Lehmann: Wir waren überwältigt, dass sich mehr als 90 Interessenten gemeldet haben. Mit teilweise ausführlichen Motivationsschreiben, persönlichen Angaben und Zeugnissen. Dabei haben wir ja formal gar keinen Posten zu vergeben, sondern können nur das Angebot machen, gemeinsam im nächsten September in den Wahlkampf zu ziehen.

Was hat am Ende den Ausschlag für die 34-jährige Betriebswirtin Katharina Romberg gegeben, die kein CDU-Mitglied ist und beruflich eigentlich in ganz anderen Sphären unterwegs war?

Lehmann: Ich bin fest davon überzeugt, dass Ahlen einen Managementprofi an der Spitze braucht, der neben einer starken Vision auch wirtschaftlichen Sachverstand, Veränderungswillen und Innovationskraft mitbringt. Frau Romberg hat für die Unternehmensberatung KPMG für den Öffentlichen Sektor, insbesondere auch auf kommunaler Ebene, gearbeitet. Sie bringt genau die richtigen Voraussetzungen mit, um die Herausforderungen unserer Stadt zu meistern. Außerdem ist sie in Ahlen aufgewachsen und hat bis heute hierhin familiäre Bindungen, was wir bei einer bundesweiten Ausschreibung gar nicht zu hoffen gewagt hatten.

Anfeindungen im Netz: Das Klima für Kommunalpolitiker ist rauer geworden

Ist Verwaltungsmanagement heute wichtiger als Folklore?

Lehmann: Sie brauchen als Bürgermeisterin neben Führungsqualitäten natürlich weiterhin ein Gespür für die Stadt und ihre Menschen. Repräsentationstermine und Bürgerbegegnungen sind wichtig, um Anregungen und Rückmeldungen aufzunehmen. Aus dem Grund ist vor allem aktive Bürgerbeteiligung einer der zukünftigen Schwerpunkte.

Warum ist es selbst in einer CDU-geprägten, wohlhabenden Mittelstadt im schönen Kreis Warendorf eigentlich so schwer geworden, in den eigenen Reihen einen Bürgermeister-Kandidaten zu finden?

Lehmann: Ich bin jetzt seit elf Jahren CDU-Vorsitzender in Ahlen und muss feststellen, dass es insgesamt komplizierter geworden ist, Menschen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Das gesellschaftliche Klima ist eindeutig rauer geworden. Wer sich politisch engagiert oder öffentliche Ämter bekleidet, muss Anfeindungen in den sozialen Netzwerken aushalten und sich auf der Straße beschimpfen lassen. Wertschätzung gibt es selten. Da fragt sich mancher halt: Warum soll ich mich unter solchen Bedingungen fürs Gemeinwohl einsetzen?

Können politische Quereinsteiger als Bürgermeister-Kandidaten nicht erst recht schlecht mit diesen Begleiterscheinungen umgehen?

Lehmann: Die hohe Zahl an Bewerbungen um unsere Bürgermeister-Kandidatur zeigt zunächst einmal, dass es sehr wohl faszinierend sein kann, eine Stadt mitzugestalten. Dass Frau Romberg von unseren politischen Wettbewerbern aber innerhalb kurzer Zeit persönlich angegangen wird, anstatt sich zunächst mit ihren Schwerpunkten auseinanderzusetzen, finde ich schade und wenig konstruktiv. Letzteres erschwert zudem die Zusammenarbeit. Mit dieser Art der Kommunikation schaden sich am Ende alle Parteien selbst. Schließlich sollte es um die Themen und nicht um die Personen gehen.

Sie sind von Beruf Polizist und können sich als ehrenamtlicher Politiker im rauen Klima vermutlich wehren. Wie vermitteln Sie anderen Mitstreitern heute noch die Freude an der Kommunalpolitik?

Lehmann: Wenn wir mit der Ratsfraktion nach Feierabend über hochkomplexen Fragen wie etwa der Grundsteuerreform sitzen, die ja jeden in Ahlen betrifft, und als Team zu vernünftigen Lösungsvorschlägen kommen, ist das sehr sinnstiftend. Das macht auch Spaß und wiegt am Ende vieles Negative auf.