Essen. Die Saat des Hasses geht auf: Wer sich im Wahlkampf engagiert, riskiert seine Gesundheit. Mehr noch: Wir alle geraten in Gefahr.
„Wir werden sie jagen.“ Die einstige Drohung des AfD-Politikers Alexander Gauland, inzwischen „Ehren“-Vorsitzender seiner Partei, gegen gewählte Amtsinhaber dröhnt einem noch in den Ohren. Es ist der Sound der Antidemokraten, die unser System, die unser freiheitliches Deutschland verachten. Schon damals ging sie auf, die Saat des Hasses. Im Juni 2019 wurde mit dem rechtsextremistisch motivierten Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke von der CDU ein vorläufiger trauriger Höhepunkt erreicht. Jetzt sind es SPD- und vor allem Grünen-Politiker, die wenige Wochen vor der Europawahl attackiert werden, auch bei uns im Ruhrgebiet.
Die Schläge, die der grüne Bürgermeister der Stadt Essen, Rolf Fliß, am Donnerstag einstecken musste, und dann die schweren Verletzungen des SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke in Dresden als Folge eines brutalen Angriffs – sie treffen uns alle. Erst kürzlich musste Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt 45 Minuten in ihrem parkenden Auto ausharren, weil sie nach einer Parteiveranstaltung in Brandenburg von Demonstranten bedrängt worden war. Unvergessen ist auch der Versuch von gewaltbereiten Protestierenden Anfang des Jahres, eine Fähre zu stürmen, auf der sich Vizekanzler Robert Habeck aufhielt. Im Vergleich zu diesen Vorfällen wirkt die eingeschlagene Fensterscheibe des Parteibüros der Grünen in Gelsenkirchen, bei der niemand verletzt wurde, nur auf den ersten Blick nichtig. Denn auch eine solche Tat wirkt.
Hämische Kommentare auf Facebook
Sicher muss man immer vorsichtig damit sein, voreilige Schlüsse zu ziehen. Zeitliche Zusammenhänge sind nicht automatisch auch kausale, und man kann nicht für jede politisch motivierte Gewalttat in Deutschland unmittelbar die AfD verantwortlich machen. Eine mittelbare Verantwortung dafür, dass das politische Klima hierzulande zusehends rauer wird, trägt sie aber allemal.
Erst verroht die Sprache, dann setzt es Hiebe. Das war schon einmal so in Deutschland. Wenn man in den sogenannten sozialen Medien einmal nachliest, wie die Attacke in Essen kommentiert wird, wird einem bange. So regt sich ein Zeitgenosse auf Facebook darüber auf, dass „jetzt so ein Theater gemacht“ werde, „nur“ weil es um Politiker gehe. Unter diesem Post findet man wenig Widerspruch, dafür rund 100 zustimmende Likes. Andere Kommentatoren machen keinen Hehl daraus, dass es die Grünen ihrer Meinung nach verdient hätten, gewaltsam attackiert zu werden. Was nur ist los in Deutschland?
Angst gehört zum Faschismus
Unübersehbar nähern wir uns Schritt für Schritt US-amerikanischen Verhältnissen. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das manchen, die es nicht gut meinen mit unserem Land, gefällt. Schließlich gehört es zum Wesen faschistischer Umtriebe, dem politischen Gegner Angst einzujagen, ihn einzuschüchtern und so am Ende mundtot zu machen.
Eine Bundestagsvizepräsidentin und ein Bundesminister haben, ohne die Vorfälle auch nur ansatzweise verharmlosen zu wollen, immerhin Personenschützer um sich herum. Diese gewährleisten eine relative Sicherheit. Ganz anders sieht es auf der kommunalen Ebene aus. Hier engagieren sich Menschen ehrenamtlich für die Gemeinschaft, ohne Netz und doppelten Boden. Wenn dieses Engagement bedeutet, sich und seine Familie in Gefahr zu begeben, dann werden das immer weniger tun. Die Demokratie stirbt langsam von unten nach oben. In den Kommunen geht es los.
Respekt für Essens Bürgermeister
Dass Bürgermeister Fliß nun demonstrativ erklärt, er lasse sich durch den Vorfall nicht einschüchtern, er mache weiter wie bisher, verdient größten Respekt. Denn selbstverständlich ist das nicht. Zeigen wir uns alle also solidarisch mit unseren (Kommunal-) Politikerinnen und Politikern und weisen wir sie zurück, die Beleidigungen und Bedrohungen, ganz egal, von wem sie kommen. Wer nicht in einem Klima der Angst und am Ende in Unfreiheit leben möchte, muss etwas dafür tun. Jetzt.