Tokio. Wo ist der nächste Schutzraum? Eine neue App könnte das den Deutschen künftig zeigen. Als Vorbild könnte ein asiatisches Land dienen.
In Südkorea brummt das Smartphone ständig mit irgendeiner Warnung. Eingerahmt in fette Ausrufezeichen blinkt dann plötzlich eine Nachricht auf wie: „Bitte seien Sie vorsichtig. Ein Taifun nähert sich und es wird stark regnen.“ Es könnte sich auch um etwas noch Ernsteres handeln, zum Beispiel einen Raketentest im verfeindeten Nordkorea. Man weiß jedenfalls immer Bescheid, wenn die Regierung der Meinung ist, dass man Bescheid wissen muss.
Seit vergangenem Jahr findet die südkoreanische Regierung aber offenbar, all das reicht nicht mehr. Schließlich befindet sich Südkorea nicht nur seit 1950 – als der Koreakrieg ausbrach, der drei Jahre und Millionen Tote später nur mit einem Waffenstillstand beigelegt wurde – bis heute formal im Kriegszustand. Derzeit sind die Beziehungen zum Norden so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Nordkorea führt immer wieder Raketentests durch. Beide Seiten drohen sich gegenseitig mit Krieg.
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Damit sich die Bevölkerung in Südkorea schnell in Sicherheit bringen kann, sollen die Menschen nicht mehr nur schnell davon erfahren, sondern auch sofort wissen, wohin sie sich in Sicherheit bringen können. Seit Sommer vergangenen Jahres bieten die weit verbreiteten Apps Naver und Kakao eine Suchfunktion, die die nächste Unterkunft anzeigt. Dies könnte die nächste U-Bahnstation sein, der Keller eines Shoppingcenters oder ein Parkhaus. Im konflikterprobten Südkorea ist man insofern vorbereitet.
Suche nach Bunkern: Bundesregierung arbeitet an App für den Katastrophenfall
So könnten Beamte aus Deutschland gerade neidisch auf das ostasiatische Land blicken. Diese Woche machte die Notiz die Runde, dass die Bundesregierung an einer App arbeitet, die für den Katastrophenfall den schnellsten Weg zum nächsten Bunker ausspuckt. Das dürfte schon deshalb eine Herausforderung sein, da es in Deutschland kaum noch funktionstüchtige Bunker gibt. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz soll aber auch an einem Plan arbeiten, bestehende Gebäude entsprechend aufzurüsten.
Hintergrund solcher Probleme wäre die auch aus deutscher Sicht angespannte Sicherheitslage, die mit dem neuerlichen Angriff Russlands auf die Ukraine ab Februar 2022 umfassend neubewertet worden ist. Ebenso in Polen, das sich eine Landgrenze mit der Ukraine teilt, wird derzeit für einen Ernstfall vorgesorgt. Es werden neue Bunker und Zufluchtsorte geplant.
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Als Vorbild für europäische Länder könnten die Demokratien aus Ostasien dienen. Neben Südkorea gibt es auch in Japan längst Apps, die über Zufluchtsorte informieren. Hinanjyo etwa, eine Entwicklung des Unternehmens 1st Media, greift mit GPS-Nutzung auf eine Landkarte zu, die mehr als 150.000 Notunterkünfte enthält – von Sporthallen bis zu Parks. Die Zahl und Orte der Notunterkünfte wird täglich geupdatet, heißt es seitens des Herstellers.
Japan: „Evakuierungskompass“ gibt Anweisungen zu Verhalten und Routen
Mit einem „Evakuierungskompass“ gibt Hinanjyo – was ins Deutsche übersetzt so viel wie „Evakuationsort“ bedeutet – Anweisungen zu Verhalten und Routen. Die App fokussiert sich allerdings weniger auf sicherheitspolitische Fragen wie militärische Angriffe als auf Naturkatastrophen. Für den Fall von Tsunamis, Taifunen und Erdbeben ist die Gesellschaft zudem geschult. Evakuierungsübungen werden regelmäßig durch Arbeitgeber und Schulen durchgeführt. Sicherheitspolitik stand bisher im Hintergrund.
Auch in Taiwan, das sich wiederum seit Jahrzehnten in seiner Existenz bedroht sieht, da das von Peking aus regierte Festlandchina den Inselstaat Taiwan als sein eigenes Territorium betrachtet, gibt es entsprechende Angebote. Hier ist es eine App der Polizei, die Userinnen und User darüber informiert, wo sie schnellstmöglich vor Bomben Schutz finden könnten. Mehr als 100.000 Zufluchtsorte im ganzen Land sind darin aufgelistet.
Pflicht ist der Download der Polizei-App zwar nicht. Im Jahr 2022, als die Zahl der chinesischen Militärmanöver rund um Taiwan stark zunahm, zählte sie aber zu den meisten heruntergeladene Applikationen. Ähnlich wie in Südkorea befinden sich Notunterkünfte in Taiwan oft in Shoppingzentren, Parkhäusern oder anderen kommerziell genutzten Gebäuden, häufig aber auch in Wohnhäusern, deren Zugang im Katastrophenfall für die Allgemeinheit geöffnet wird. Die App gibt hier Auskunft.
Überflutung an Warnungen macht Menschen unempfindlicher
Die ostasiatischen Demokratien sind zwar katastrophenerprobt, dienen aber nicht nur als positives Vorbild. Gerade in Südkorea, wo neben den privat bereitgestellten Apps der sehr weit verbreiteten Anbieter Naver und Kakao mit deren Notunterkunftsplänen auch regelmäßig Warnmeldungen auf die Handys schießen, setzt Warnungsmüdigkeit ein. Ein 2022 im Forschungsmagazin International Journal of Disaster Risk Reduction veröffentlichter Artikel deutet an, dass manchmal weniger mehr ist.
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Seit 2005 schickt die südkoreanische Regierung ihre Notfallwarnungen an Mobilgeräte. Der „Korean Public Alert Service“ (KPAS) genannte Dienst habe folgenden zweischneidigen Effekt: „KPAS trug zu erfolgreichen Abwehrmaßnahmen gegen Katastrophenschäden bei. Mit der zunehmenden Anzahl von KPAS-Warnungen wurden die Menschen Berichten zufolge immer genervter und unempfindlicher gegenüber den Warnungen.“ Viele User klickten die Funktionen immer gleich weg.