Sumy. Mit einem von den Russen gestohlenen Maschinengewehr schießt die 117. Brigade auf Kamikaze-Drohnen. Sisyphos-Arbeit, die Leben rettet.
Shkiper starrt angestrengt in den sternenklaren Himmel, dann wieder auf das kleine Tablet, auf dem rote Dreiecke tanzen. Eines ist vor wenigen Sekunden verschwunden. Ein anderer Soldat schaut auf einen Wärmebildmonitor. Sie flüstern. Bloß nicht das Geräusch überhören, wenn sich eine Drohne in der Dunkelheit nähert. Ein dritter Mann steht auf der Ladefläche des Pick-ups, das schwere Maschinengewehr ist entsichert und durchgeladen. Atemwolken steigen auf, es ist bitterkalt. Nach einigen Minuten gibt Shkiper Entwarnung. Die Anspannung löst sich. Aber vor dem Trupp liegt noch eine lange Nacht. Sie müssen ihre Region vor einem tödlichen Feind aus der Luft schützen.
In Sumy im Nordosten der Ukraine. Die russische Grenze ist hier nah. In jeder Nacht und an jedem Tag fliegen Drohnen von der anderen Seite herüber. Die meisten von ihnen sind Shahed-136, Kamikaze-Drohnen ursprünglich iranischer Bauart, die jetzt unter der Bezeichnung Geran-2 in Russland massenhaft nachgebaut werden. Sie können bis zu 60 Kilo Sprengstoff in ihr Ziel steuern. Es sind kostengünstige, aber gefährliche Waffen. Shkiper und die anderen Männer der 117. Brigade der Territorialverteidigung versuchen, sie aufzuhalten. Es ist eine Sisyphos-Arbeit. Aber sie rettet Leben.
Mit Iris-T und Patriot gegen russische Raketen und Marschflugkörper
Einige Stunden zuvor: Es ist halb acht Uhr abends, als im Einkaufszentrum Manufaktura in Sumy eine Glocke erklingt, eine Frauenstimme gibt immer wieder durch: „Achtung, es ist Luftalarm, begeben Sie sich in einen Schutzraum.“ Keiner der zahlreichen Kunden scheint davon irritiert zu sein. In Sumy ist die Warnung vor Beschuss Alltag. Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben die ukrainischen Statistiker von „air-alarms.in.ua“ über 2880 Luftalarme in der Region und fast 2050 Explosionen durch einschlagende Geschosse gezählt. Oft mit tödlichen Konsequenzen.
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Am Abend des 17. November sterben in der Großstadt elf Menschen, als eine ballistische Rakete in ein Wohnhaus einschlägt, 89 Menschen werden verwundet. Nur fünf Tage später explodiert am frühen Morgen eine Drohne in einem Wohngebiet, dabei kommen zwei Menschen ums Leben. „Sie beschießen uns ständig mit Raketen, mit Gleitbomben, mit Drohnen. Die Dörfer direkt an der Grenze liegen ständig unter Artilleriefeuer“, erzählt Dmytro Lantushenko, der Presseoffizier der 117. Brigade.
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Luftabwehrsysteme wie das deutsche Iris-T oder das amerikanische Patriot arbeiten gegen die anfliegenden Raketen und Marschflugkörper an, mit den erst jüngst gelieferten F-16-Kampfjets versuchen ukrainische Piloten, russische Trägerflugzeuge vom Himmel zu holen, ehe sie Gleitbomben ausklinken können. Die mobilen Luftabwehrtrupps der 117. Brigade sollen die Städte, Dörfer und die kritische Infrastruktur, aber auch die eigenen Soldaten gegen Drohnenangriffe schützen.
Es ist ein Kampf mit einfachsten Mitteln. Shkiper und sein Trupp haben auf ihrem Pick-up ein Kord-Maschinengewehr russischer Bauart installiert. Es ist ein Beutestück. „Wir haben es von den Russen gestohlen“, sagt der Kommandant und lacht. „Andere Jungs haben es von einem zerstörten russischen Panzer abgebaut, wir haben es repariert.“ Mit einer solchen Waffe auf eine anfliegende Drohne zu schießen, ist, als schieße man mit einem Sturmgewehr auf einen vorbeifliegenden Vogel.
„Wir brauchen mehr westliche Waffen“
Shkiper zeigt auf das Tablet. Die tanzenden roten Dreiecke sind feindliche Drohnen, die Grafik wird automatisch eingespielt. Sie können darauf erkennen, wie viele der Maschinen gerade in der Region Sumy unterwegs sind und wie schnell sie fliegen. Etwa ein Dutzend der Dreiecke sind zu sehen. „Das ist nur die erste Gruppe, sie schicken normalerweise drei oder vier Gruppen hintereinander. Manchmal ist der ganze Bildschirm rot.“ Sinken die Drohnen, verschwinden sie vom Radar. Das kann bedeuten, dass sie ein Ziel in der Nähe ansteuern. Dann wird es gefährlich.
Ein Hilfsmittel, mit dem das Zielen für den Schützen erleichtert werden soll, ist eine Art Lasergewehr, das die Ukrainer selbst entwickelt haben. Auf dem Gerät ist ein Wärmebildmonitor installiert, dort sind die Drohnen in der Nacht leichter zu erkennen. Mit dem grünen Laserstrahl visiert der Soldat die Drohne an und markiert sie. Trotzdem ist es schwer, die Maschinen zu treffen.
Normalerweise fliegen die drei Meter langen Shahed-Drohnen mit einer Geschwindigkeit von etwa 200 km/h und in einer Höhe von mehr als einem Kilometer. „Du musst abschätzen, wie ihre Flugbahn ist, und dann vor sie zielen, um sie zu treffen“, erklärt Shkiper. In den eineinhalb Monaten, in denen sie hier in der Region unterwegs sind, haben sie gerade einmal eine der Shaheds abschießen und zwei beschädigen können. Immerhin: Eine Explosion weniger.
Effektiver als die Männer mit dem russischen Maschinengewehr sind die von Deutschland gelieferten Gepard-Panzer mit ihrer Zwillings-Flugabwehrkanone, die zuverlässig und präzise Drohnen abschießen. „Wir brauchen mehr westliche Waffen“, wirbt der Presseoffizier der Einheit.
In dieser Nacht greift Russland mit insgesamt 188 Shahed-Drohnen an
So bleibt vor allem Improvisation: Die Männer von Shkipers Trupp trainieren wie die anderen mobilen Luftabwehreinheiten regelmäßig in einem unscheinbaren Gebäude in einer der Städte in der Region. Der genaue Ort darf aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden. In einem fensterlosen Raum, an dessen Wänden die Trümmer abgeschossener Drohnen hängen, ist an einer Wand ein großer Monitor befestigt.
In der Mitte des Raums steht das Modell eines amerikanischen Browning-Maschinengewehrs. Die Schützen tragen einen Helm mit einer Virtual-Reality-Brille. Der Ausbilder kann verschiedene Szenarien einspielen. Eine anfliegende Drohne bei Nacht, eine anfliegende Drohne am Tag, unterschiedliche Geschwindigkeiten. Es gibt mittlerweile Maschinen, die bis zu 700 km/h schnell sind. Auch das Trainingssystem ist eine ukrainische Eigenentwicklung.
Shkipers Trupp bricht nach einer Stunde auf. Sie dürfen nicht zu lange an einer Position bleiben, sie könnten sonst selbst zum Ziel werden. Die russische Grenze ist gerade einmal 20 Kilometer entfernt, theoretisch sind sie in Reichweite der kleinen FPV-Drohnen, mit denen die Soldaten beider Seiten Jagd auf gepanzerte Fahrzeuge und Infanterie-Trupps machen. „Gott sei Dank sind wir noch nicht direkt angegriffen worden“, sagt der Kommandant. Ein paar hundert Meter weiter stoppen sie. Warten. Schauen aufmerksam in den Himmel und auf das Tablet.
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In dieser Nacht greifen die russischen Streitkräfte die Ukraine mit einer Welle von insgesamt 188 Shahed-Drohnen an, so vielen wie nie zuvor. 76 der Drohnen können nach ukrainischen Angaben abgeschossen werden, in der Region Sumy zerstören mobile Luftabwehrtrupps 16 von ihnen. Am Tag darauf schlagen in der Großstadt Geschosse eines russischen Raketenwerfers ein. Erneut sterben zwei Menschen. Gegen solche Raketen können Shkiper und die anderen Männer der 117. Brigade nichts ausrichten.